Das Kellerkind der Kirche

Alt, wertvoll, lebendig, nützlich und gepflegt: das Archiv des ev. Kirchenkreis Siegen


Es führt ein Nischendasein im kirchlichen Alltag. Nicht selten ist es im Keller zu finden, unordentlich und für den Gebrauch ungeeignet. Nur Besonderes findet langfristig seinen Platz in dieser Nische im Keller. So manches wird hinausgeworfen und entsorgt. Was aber seinen Platz in dieser Nische findet, trägt bei zur Identität der Kirche und ihrem Gedächtnis. „Es“ ist das Kirchenarchiv. Kirchengemeinden haben es, die Kirchenkreise und auch die Landeskirche. Eine Fundgrube für die historische Forschung. Hier wird die Frage beantwortet, warum die Kirche so wurde wie sie ist.
Das Landeskirchliche Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen entschwand vor einigen Jahren aus seinem Kellerdasein und hat in Bethel moderne neue Räumlichkeiten erhalten, die das historisch wertvolle Archivgut gemeinsam mit dem Hauptarchiv der Bodelschwinghschen Stiftung unter optimalen klimatischen Bedingungen und gut katalogisiert für die Nutzung verfügbar hält. Der Leiter des Landeskirchlichen Archives Wolfgang Günther erläuterte kürzlich auf der Klausurtagung des Kreissynodalvorstandes des Evangelischen Kirchenkreises Siegen die Bedeutung der kirchlichen Archive und deren fachliche Aufbereitung. Grundlage hierfür sind die kirchlichen Archivgesetze. Aufbewahrt werden alte Urkunden, schriftliche Zeugnisse über Rechtsgeschäfte oder Ortsakten der Kirchengemeinden, die auch Grundstücke und Immobilien zum Inhalt haben. Hinzu kommen die Kirchenbücher, die bis 1874/76 das Personenstandsregister darstellten, das danach in Westfalen und im Deutschen Reich zu einer staatlichen Angelegenheit wurde. Sie sind eine Fundgrube für orts- und sozialgeschichtliche Erkenntnisse und auch so mancher Familienforscher ist auf sie angewiesen.

Nicht alles, was im kirchlichen Alltag an Papier produziert wird, wandert später in ein Archiv. Was ist archivwürdig? So lautet die Frage, die der Fachmann zu beantworten hat. Bietet ein Schriftstück eine juristische Auskunft? Ist es historisch wichtig und hat es bereits Archivreife erhalten? Ist es überhaupt archivfähig? Hierzu gibt es einen sogenannte Aufbewahrungs- und Kassationsplan, der die Erhaltung wie auch die Vernichtung von Schriftstücken regelt. Hier ist Fachkenntnis gefragt, die in vielen Kirchengemeinden nicht vorhanden ist. Daher können Kirchengemeinden ihre Archive vom Landeskirchlichen Archiv in Bielefeld aufarbeiten, ordentlich in Kartons verpacken und mit einem Findbuch versehen lassen. Auch das Kreiskirchliche Archiv wurde 2013 so auf den neuesten Stand gebracht. Zudem wird fachlich an die Hand gegeben, wie die wertvollen Schriftstücke sicher vor Feuer, Wasser, Licht und Staub geschützt zu lagern sind. Gutes Papier ist unter ordentlichen Bedingungen Jahrhunderte haltbar. Aber wie steht es um moderne Datenträger? Wer hat noch ein Lesegerät für Computer-Disketten? Wie lange halten CD‘s? Auch die vor Jahrzehnten eingeführten verkleinerten Fotografien (sogenannte Microfiche), die auf einem speziellen Lesegerät vergrößert wurden, sind nicht mehr Stand der Technik und werden wie Papiere auch, aufwändig digitalisiert. Daten können heute bestenfalls über Ländergrenzen hinweg vom PC aus eingesehen werden ohne dass die Orte der Originale mühsam aufgesucht werden müssen. Aber welche Dateiformate sind zukunftssicher? Fragen über Fragen nach einer zunehmend papierlosen Zeit.

Das Archiv des Evangelischen Kirchenkreises Siegen ist in einem guten Zustand. Es wird im Keller des Hauses der Kirche in der Burgstraße aufbewahrt. Ehrenamtlicher Archivpfleger ist zurzeit Gerhard Moisel. Vor ihm hatte der Stadtarchivar Friedhelm Menk die Archivpflege inne, der die Aufgabe von Pfr. i. R. Walter Thiemann übernahm. Vor dem Zweiten Weltkrieg dürfte der jeweilige Superintendent die Archivalien aufbewahrt haben. Dies erfuhr der Kreissynodalvorstand von Gerhard Moisel. Der kennt sich aus. Das Archiv des Kirchenkreises Siegen umfasst rund 530 Archivkartons sowie einiges noch unverzeichnetes Material, zusammen etwa 80 lfde. Regalmeter. Alles ist in einem 2016 erstellten Findbuch detailliert aufgelistet. Neben wichtigen Unterlagen zur Verfassung und Organisation von Kirchenkreis und Kirchengemeinden beinhaltet es dauerhaft aufzubewahrende Akten zum Personal, zu Gottesdienst und Seelsorge, zum kirchlichen Leben in den Referaten, Einrichtungen und Kreisen, zum Schulwesen und dem Evangelischen Gymnasium. Im Archiv befinden sich auch sogenannte Lagerbücher zu Grundstücken und Unterlagen der Vermögensverwaltung. Es ist nach Aussage des Landeskirchlichen Archives Bielefeld eines der bedeutendsten Synodalarchive in Westfalen. Es dokumentiert das evangelische Leben im Siegerland vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Das Archiv ist lebendig, das heißt, es wächst. Und es wird regelmäßig genutzt. Zurzeit besonders im Zuge der Einführung des Neuen Kirchlichen Finanzmanagements, für das alle Grundstücke und Gebäude bewertet werden müssen. Aber auch die Haushaltsabteilung, die Abteilung Bau- und Liegenschaften, das Öffentlichkeitsreferat oder die Superintendentur nutzen die Archivalien. Für die historische Forschung ist das Kirchenarchiv in der Burgstraße eine Fundgrube. Historiker, Universitätsangehörige, Doktoranden, Studenten und Schüler greifen auf die Daten zu. Meist sind kirchengeschichtliche Arbeiten zu schreiben, aber auch orts-, sozial- und familiengeschichtliche Themen werden angegangen. Grundlegende Bücher zu Pastor Noa, dem Kirchenkreis Siegen in der NS-Zeit, Christentum und Hakenkreuz-Siegerland am Vorabend des Dritten Reiches oder aber zur Orgellandschaft im Siegerland sind mit Hilfe des kreiskirchlichen Archives entstanden. Hinzu kommen beispielsweise die Jubiläumsbücher zur Geschichte der Martinikirche und der Nikolaikirche. Zurzeit, so weiß Moisel, wird an einer Dissertation zum Verhältnis von Kirchengemeinden und Gemeinschaften im Siegerland und an einer Geschichte des Siegerlandes im 19. Jahrhundert einschließlich der Kirchengeschichte gearbeitet.
Quelle: Evangelischer Kirchenkreis Siegen, Nachrichten, 19.2.2019

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