Jürgen Bellers: Umfangreiche Spionage an der Uni Siegen für die Stasi

„Die Ergebnisse aus dem von der Stasi-Aufarbeitungsbehörde geförderten Forschungsprojekt zur „Stasi an der Uni Siegen“ liegen nun vor. Aufgearbeitet wurde die allgemeine sozialistische Stimmung damals, als nicht wenige, insbesondere an den Unis, den Kommunismus für das bessere Gesellschaftssystem hielten (obwohl in der DDR-Geschichte mehr als 200.000 Bürger aus politischen Gründen inhaftiert wurden, 10.000 kamen ums Leben). Im einzelnen fand an der Uni Siegen umfangreiche Industriespionage statt, so Prof. Bellers, der Leiter des Projektes. So haben u. a. Mitarbeiter aus dem Forschungsvorhaben „Steinzerfall, Mörtel und Steinergänzungstoffe“ 1988 (BStU MfS HV A/MD/2, SIRA-TDB 11), das vom Bundesforschungsministerium finanziert wurde (BMFT), geheime Informationen an die maroden DDR-Kombinate weitergeleitet, ebenso aus der Facheinheit „Oberflächentechnik im Bauwesen“ 1989 (BStU MfS HV A/M/D/2, SIRA-TDB 11) und aus dem BMFT-Forschungsprojekt „Experimentelle Untersuchung großflächiger Spaltdichtungen aus elastisch gebetteten Keramikplättchen“ 1987 (BStU MfS SIRA-TDB 11). Insgesamt wurde für entsprechende Kombinate in der DDR umfangreich spioniert.
Prof. Bellers: „Wir müssen beide Diktaturen auf deutschem Boden im 20. Jh. gleichermaßen aufarbeiten, auch wenn es da Widerstände gibt. Aber warum soll man nicht auch Pflastersteine für die DDR-Opfer in Siegen klopfen?! Es muß auch einen Kampf gegen links geben, zumal die Linke auch im Rathaus sitzt und über unser Schulwesen z. B. mitentscheiden darf.“

s. a. Siegener Zeitung, 19.2.2015

22 Gedanken zu „Jürgen Bellers: Umfangreiche Spionage an der Uni Siegen für die Stasi

  1. Das ist einfach nur widerlich und peinlich!!!
    Wer welches Gesellschaftssystem besser findet, ist für die Art und Weise der Industriespionage der früheren DDR von keiner Relevanz. Dies gilt genauso für die derzeitige Schulpolitik der Stadt Siegen.
    Wenn eine solche unsachliche, persönliche Hetze eines vermeintlichen Vertreter der wissenschaftlichen Intelligenz den Weg in die Presse findet, ist dies schlimm genug.
    Der Administratot wird hier ernstlich an seine Aufsichtspflicht erinnert.
    Wenn der Archivblog siwiarchiv in seiner Informationsarbeit auf das Niveau der Siegener Zeitung absinkt sollte er besser eingestellt werden.

    • Prof. Bellers fungiert hier als Gastautor, die historischen Angaben sind mit Quellennachweis belegt und können – gerne – überprüft werden und die Meinungsäußerung des Gastautoren ist bereits publiziert gewesen. Eine Kürzung meinerseits käme daher der Zensur gleich.
      Generell ich halte siwiarchiv für den Platz, an dem historische Nachrichten, die mit subjektiven Einschätzungen verquickt sind, sachlich (!) auseinander genonmmen werden können und sollten.

  2. Es ist ja erfreulich, dass der Politologe Jürgen Bellers so tapfer gegen das Unrecht in Ost und West streitet. Vielleicht möchten auch seine an dieser Stelle eines disziplinar- und strafrechtlich relevanten Verhaltens (Verrat von Dienstgeheimnissen ans Ausland) bezichtigten ehemaligen Kollegen Bauingenieure ein bißchen Gerechtigkeit für sich beanspruchen: Was auch immer sich in den 1980er Jahren zugetragen haben mag, Herrn Prof. Bellers Aufgabe ist es wohl kaum, nach der Lektüre einer Stasi-Akte öffentliche Vorverurteilungen vorzunehmen. Wenn sich ihm der begründete Verdacht auf Straftaten ergeben hat, steht es ihm frei, dies zur Anzeige zu bringen. Bis zu einem gerichtlichen Urteilsspruch würde dann, wie immer, die Unschuldsvermutung gelten. Abgesehen davon nehme ich an, dass sich Herr Bellers vor Einsicht in diese Akte verpflichten mußte, keine personenbezogenen Informationen daraus zu veröffentlichen. So riesige Forscherteams haben sich in den 1980er Jahren in Siegen sicher nicht mit Steinzerfall und Keramikplättchen beschäftigt, dass den Mitarbeitern der betroffenen Institute nun keine konkreten Namen dazu einfallen würden.
    Schließlich sei daran erinnert, dass Stasi-Akten auch eine Menge grotesken Unsinn enthalten. Wenn ich alles für bare Münze nehmen würde, was in meiner steht, müßte ich mich entweder aufhängen oder totlachen.
    P.K.

  3. 1. die namen der je mehr als 7 projektmitarbeiter in siegen liegen mir nicht vor.
    2. aber die akten sind sehr eindeutig und nicht wie andere, die eher nebulös sind, auch bezüglich meiner stasi-akte und die meiner frau. da steht wirklich oft Unsinn drin. oder hinsichtlich der unklarheiten in stolpes akte. die akten über die uni siegen sind eindeutig und unbezweifelbar.
    3. rückschlüsse auf Personen sind durch die projektnennungen nicht möglich, siehe oben. auch dritte außerhalb der Projekte hatten ja zugang zu deren unterlagen. hätte ich stattdessen die gesamten Bauingenieure nennen sollen? das hätte ja den kreis der verdächtigen vergrößert.
    4. soll ich nun wirklich zum Staatsanwalt laufen, ich will die leute von damals nicht kriminalisieren. es geht mir nur um die öffentliche Diskussion, und dass wir lernen.
    5. strafrechtlich kann man das nicht aufklären, allein wg Verjährung und weil die gerichte sehr zurückhaltend sind. nach ihren Vorstellungen wäre also nichts passiert. da ist die veröffentlichung in einer Regionalzeitung doch zumindest etwas. auch für die opfer.
    6. meine Kampagne gegen die linke war vielleicht unangebracht und der Sache nicht dienlich. aber zuweilen bin ich auch etwas verbittert, da meine gesamte Familie infolge DDR-haft bis heute schwerbehindert, auf dauer.

    Jbellers

    • Mit Verlaub, ein paar Anmerkungen:
      zu 1) Nachdem die konkreten Projekte genannt wurden, wäre es eine Sache von wenigen Minuten, anhand öffentlich zugänglicher Nachschlagewerke die Namen der Mitarbeiter herauszufinden. Insider aus den Instituten, die dort schon länger tätig sind, bräuchten nicht einmal nachzuschlagen. Das Problem ist weniger, dass vielleicht wirklich schuldig gewordene Personen unter Verdacht geraten, sondern dass es gleichermaßen die Unschuldigen trifft. Irgend etwas von einmal in die Welt gesetzten Gerüchten bleibt bekanntlich immer hängen. Und logischerweise ist es unmöglich (auch Ihnen, mir, dem Papst), zu beweisen, dass man niemals für einen Geheimdienst gearbeitet hat: Die Verleumder können immer kontern, dass man eben bloß seine Spuren erfolgreich verwischt hat.
      zu 2) Wie „eindeutig und unbezweifelbar“ kann eine Stasi-Akte sein? Steht in der von Ihnen eingesehenen wirklich drin: „Ich, Mitarbeiter X. / Y. / Z. der Uni Siegen, habe bewußt und vorsätzlich folgende Spionagedienste für die DDR geleistet …“? Und haben Sie von Fachleuten prüfen lassen, ob die an die DDR gelangten Forschungsergebnisse tatsächlich geheim waren und nicht vielleicht schon veröffentlicht oder zur zeitnahen Veröffentlichung vorgesehen?
      zu 3) Wenn Unbeteiligte Zugang zu den Projektunterlagen hatten, können die ja wohl nicht so vertraulich gewesen sein, oder?
      zu 4) Die öffentliche Behauptung, identifizierbare Mitarbeiter der Uni Siegen hätten geheime Informationen an die DDR weitergeleitet, also Straftaten begangen, sehe ich schon als Kriminalisierung. Auch die Behauptung „An der Uni Siegen fand umfangreiche Industriespionage statt“ ist problematisch, weil sie einige Fragen impliziert: Ist die Uni Siegen womöglich auch heute noch ein Paradies für Industriespione (russische, chinesische, amerikanische usw.)? Hat sich die Uni Siegen unter Mißachtung ihrer gesellschaftlichen Aufgaben in so hohem Maße an die Industrie verkauft, dass Spionage hier besonders lohnenswert war oder ist? Wurden Forschungsaufträge für konkrete Industrieunternehmen mit öffentlichen Geldern finanziert? Das sollen keine Anregungen für Verschwörungstheorien sein; es sind Fragen, die sich aus Ihrem Industriespionage-Vorwurf nun von selbst ergeben. Wenn etwas dran sein sollte, müßte es aufgeklärt werden (allerdings nicht von der Siegener Zeitung oder Siwiarchiv, denn das sind meines Wissens keine Ermittlungsbehörden); wenn nicht, wäre es eine Behauptung, die dem Image der Uni Siegen nicht gerade förderlich ist.
      P.K.

  4. lieber herr Kunzmann, dank für die Diskussion, zumal wir ja durchaus freundlich an der uni miteinander umgegangen sind und ich mich an sie gerne erinnere. bin nun pensioniert.
    aber: warum darf man die gesamte Reichswehr als faschistisch bezeichnen, obwohl alle meine verwandte dort sicherlich nicht faschistisch waren – im Gegenteil! aber ich ertrage dass, denn das Argument, man dürfe keine nestbeschmutzung betreiben, tötet die meinungsfreiheit.
    Landesverrat – und darum, da militärisch relevant, handelt es sich hier – ist nicht erst dann gegeben, wenn man geheimnisse verrät, sondern schon dann, wenn man der Bundesrepublik schadet. das ist der Tatbestand. und schaden hat man verursacht, weil allein durch die übergabe der papiere die Bundesrepublik in ihrem ansehen (das von Ihnen angeführte „Image“) als schwächlicher Staat erschien.
    vielleicht gibt es auch heute noch so etwas bei uns, wer will das ausschließen? wir sind da viel zu naiv. der Verfassungsschutz ist ja glücklicherweise schon an der uni aktiv. ausländische studenten haben mir zB erzählt, was „ihre“ Geheimdienste an der uni tun. ich sage die länder nicht, um die Studenten nicht zu gefährden. das geht sehr weit, was da abläuft. nur die deutschen wollen das nicht sehen. aber die welt ist nicht gut.
    ich habe nebenbei lange zur stasi geforscht und habe sie auch selbst erlebt.
    schließlich: die Mitarbeiter der Projekte und zT die projekte selbst sind nicht in den öffentlichen verzeichnissen der uni und auch nicht im forschungskatalog des BMFT. ZT erscheinen die Projekte sogar unter anderem namen. mehr an Anonymisierung geht wohl nicht.
    und ganz zum schluß: ich wurde mal ein Straftat zu unrecht verdächtigt. das ist so im leben. es hat mir nicht geschadet. auch wenn das nie aufgeklärt wurde und sehr öffentlich war. (bild Zeitung) und wenn es mir geschadet hat, dulde ich das wegen der Meinungsfreiheit, die mir sehr wichtig, die aber leider bei uns immer mehr durch antifaschistische, antischwule usw. Kampagnen eingeschränkt wird. sie wissen nicht, was ich jetzt wieder an shitmails bekommen habe. die USA sind da offener. dorthin werde ich bald emigrieren. in vielen erinnert man mich die lage heute an die schwierige Aufarbeitung der nazi-zeit in den 60ern. denn die nazis war ja auch eine linke Bewegung (aber damit meine ich nicht Ihre berechtigten Kommentare. man sollte leute nie unnötig belästigen oder verdächtigen. ich bin sehr libertär.)
    beste grüße ihr j bellers

    • Lieber Herr Prof. Bellers,
      das alles ist wahrlich ein weites Feld. Ich bin (wie Sie?) kein Freund fruchtloser Spekulationen und will in Anbetracht meines begrenzten Informationsstandes nun nicht länger auf dem Thema herumreiten. Ihrer Aussage „die Welt ist nicht gut“ stimme ich voll und ganz zu. Alles Gute in Ihrer neuen Lebensphase!
      Ihr P. Kunzmann

      • lieber herr Kunzmann, ich halte die hier aufgeworfenen fragen schon für sehr wichtig und prinzipiell, letztlich für alle Archivare und Historiker. die frage ist schlicht und einfach:
        ist snowden der Straftäter, oder die, die Informationen mißbrauchen? oder der Archivar und Historiker? (womit ich natürlich nicht sage, dass ich geheimnisse veröffentlicht habe, im Gegenteil).
        denn auch einige Infos von snowden haben sich nicht als richtig herausgestellt. was tun? und darf er wahre geheimnisse veröffentlichen? in den USA gibt es auch gerichte.
        aber alles auf die gerichte schieben? das dauert und führt oft zu nichts und kriminalisiert. oder wahrheitskommission an der uni siegen?
        ich wäre schon an der Meinung der Archivare interessiert.
        beste grüße und dank ihr Jürgen bellers

  5. Man sollte doch einmal in Siegen eine Wahrheitskommission wie in Südafrika einrichten wegen der Stasi-Vorfälle, die ja wohl nicht nur an der uni vorgekommen sind, sondern im gesamten Kreis.
    Wenn man andauernd Snowden feiert (obwohl das ja Geheimnis-/Landesverrat ist), dann sollte man sich zumindest zu dieser Kommission verpflichtet fühlen, ohne die Spione vor Gericht bringen zu wollen. Das ist sicherlich eine Aufgabe der Archivare. Oder ist das wieder „widerwärtig“? (s. ersten Kommentar)
    MPL

      • Letztlich liefe dies ja auf eine Ausweitung des hier vorgestellten Forschungsprojektes hinaus, quasi „Stasi im Kreis Siegen-Wittgenstein“, hinaus. Warum Archive dann so zögerlich auftreten? Es sind m. E. vor allem 3 Gründe:
        1) bis jetzt noch nicht formuliertes öffentliches oder Nutzungsinteresse,
        2) vermutlich nur spärliche und bereits zugängliche, regionale Quellen, und daraus folgend
        3) nicht vorhandene personelle und finanzielle Ressourcen.

        • na ja, Diktaturen sollte man schon aufarbeiten, wer sie trug und förderte, das zum öffentlichen Interesse, und Gelder muß man beantragen, ich würde mitmachen, was an quellen beim mfs, weiß man erst später

  6. Es solle mit diesen Darstellungen niemand kriminalisiert werden, heißt es, und dann im weiteren Verlauf, er, der Sprecher, sei schon mal fälschlich angeklagt worden: „Das hat mir nicht geschadet.“ Nun ja, dann darf ja wohl schon ein bisschen (oder etwas mehr) kriminalisiert werden?

    Besonders ärgerlich: die allgemeinpolitische Positionierung. DDR und NS-Deutschland werden gleichgesetzt, was auf Verharmlosung von NS-Deutschland, Massenverbrechen und Krieg hinausläuft. Macht man (völlig zurecht) mit den USA und deren Foltergefängnissen usw., ja auch nicht. Bitte mal ins Geschichtsbuch schauen.

    • Zur Frage der „Kriminalisierung“ bzw. des Datenschutzes ist, da es sich laut Eigenaussage um ein von der Stasiunterlagenbehörde gefördertes Projekt handelt, davon auszugehen, dass die Benutzung nach den einschlägigen Regelungen des Stasiunterlagengesetzes erfolgt ist. Somit wäre den vorgetragenen Bedenken hinreichend Rechnung getragen.

      Die allgemeinpoltische Positionierung wurde hier bereits mehr oder weniger deutlich nachvollziehbar beanstandet. Darauf hat der Gastautor auch reagiert. Bemerkenswert ist allerdings, dass noch nicht die Frage der regionalen Erinnerung an die Opfer der DDR diskutiert wurde, die im Eintrag m.E. ebenfalls diskussionswürdig, weil ebenfalls der Bezug zur Erinnerung an die NS-Opfer (Stolpersteine!) hergestellt wurde, angerissen wurde.

      • ok, also regionale Erinnerung an die opfer der DDR als forschungsprojekt, wer macht mit? Befragung?
        was das BStU-G betrifft, wurden nun wirklich keine namen genannt, auch nicht indirekt erschließbar, selbst die genannten einheiten sind verfremdet, sicher ist sicher, in heutiger zeit wird ja scharf geschossen, insbesondere gegen die, die auch mal ein kritisches wort gegen links äußern, aber das ziehe ich sofort zurück, ich darf ja nicht politisieren

  7. die wahrheitskommission in Südafrika hat gerade nicht krominalisiert

    außerdem sollte man die DDR nicht verharmlosen, ich kenne die opfer, die noch heute in heimen schwerbehindert leben müssen

    machen wir uns an die arbeit

    für die Politisierung habe ich mich schon entschuldigt, weil nicht der Sache förderlich
    seien wir couragiert

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