Linktipp: Arsenbelastung im Archiv?

Aus aktuellem Anlass veröfftlichte das Blog des LWL-Archivamtes einen Eintrag zur Arsenbelastung in Archiven.

7 Gedanken zu „Linktipp: Arsenbelastung im Archiv?

  1. Archivalia gewohnt griffig: https://archivalia.hypotheses.org/195054.
    Man höre auch: „Arsen in Bibliotheken, Arsen in unserem.Alltag?“, Deutschlandfunk, 28.2.24: https://www.deutschlandfunk.de/arsen-in-bibliotheken-arsen-in-unserem-alltag-dlf-cc980dbf-100.html
    Links zum Thema:
    KEK-Projekt „Arsenbelastete Einbände wieder nutzbar gemacht“ (2020/21)
    TH Köln, Projekt „Konservatorischer Umgang mit arsenhaltigem Bibliotheksgut“, (2021)
    Jessica Bruns, Kerstin Helmkamp, Ruth Sindt: Der Umgang mit potentiell arsenbelasteten Bibliotheksbeständen an der Universitätsbibliothek Kiel – ein Werkstattbericht, Bilbiohetheksdienst
    Bibliotheksdienst Band 57 (2023) Heft 9

  2. Noch mehr Links zum Thema:
    https://www.bibliotheksverband.de/sites/default/files/2024-01/ArsenHandreichung2023-12-08.pdf
    = ausführliche Stellungnahme des DBV, Stand Dezember 2023, mit Berücksichtigung der Vorarbeiten von UB Kiel, ULB Bonn und FH Köln.
    https://sites.udel.edu/poisonbookproject
    = Homepage des von zwei Restauratorinnen an der University of Delaware 2019 ins Leben gerufenen interessanten „Poison Book Project“.
    Zeitlich knapp vorausgegangen (2018) war die Zufallsentdeckung der Arsen-Kontamination dreier Bücher aus dem 16. und 17. (!) Jahrhundert in einer dänischen Bibliothek:
    https://theconversation.com/how-we-discovered-three-poisonous-books-in-our-university-library-98358
    Es ist eine Binsenweisheit, dass alles, was in der Vergangenheit – vor allem, aber keineswegs nur, während des Aufschwungs der chemischen Industrie im 19. Jahrhundert – mit anorganischen Substanzen gefärbt wurde, potentiell gesundheitsgefährdend wirken kann, einschließlich sämtlicher für die Buchherstellung verwendeter Materialien. Dass diese seit Erfindung solcher Farben grundsätzlich bekannte Tatsache, der z.B. schon vor zwei Jahrhunderten in Lehrbüchern für Buchbinder Arbeitsschutzempfehlungen gewidmet waren, nun seit wenigen Jahren von Bibliothekaren als „neue Erkenntnis“ verkauft wird, ist ein kulturhistorisch interessantes Phänomen. –
    Ganz unabhängig davon, ob tatsächlich ein akutes Problem für heutige Bibliotheksbenutzer vorliegt, das sofortige brachiale (und teure) Maßnahmen wie in Bielefeld, Siegen usw. erzwingt, oder sich alles nur als Sturm im Wasserglas („Viel Lärm um nichts“, wie es manche Fachkollegen anderwärts sehen) herausstellt: Die interessierte Öffentlichkeit sollte bei beiden Szenarien erwarten dürfen, dass sich die bibliothekarischen Spezialisten gründlich und konsequent mit dem Thema beschäftigen, bevor sie entweder die Leser ihrer Bücher vor qualvollem Siechtum warnen oder anderenfalls einfach die Kirche im Dorf lassen. Dreierlei zeugt aber weder von gründlicher Recherche noch von konsequenter Verfolgung eines zweifellos gutgemeinten Anliegens:
    1. die in den Verlautbarungen seit 2018 immer wiederkehrende Hervorhebung der „verdächtigen“ Farbe Grün und Fixierung des Blicks auf arsenhaltige Farbstoffe: So wird dem fachfremden Publikum suggeriert, alle anderen Farben und seinerzeit verwendeten Metallverbindungen seien für die Beurteilung von Toxizität vergleichsweise irrelevant. Neben Arsen (häufig in anderer als grüner Farbgebung) kamen in breitem Umfang Salze von Chrom, Blei, Quecksilber, Cadmium, Kupfer und anderen Metallen als Farbstoffe zum Einsatz, die in ihrer Giftigkeit dem Arsen kaum nachstehen.
    2. die aus Bielefeld mehrfach wörtlich übernommene Behauptung „Ledereinbände sind nicht betroffen“: Speziell im Siegerland mit seinem einst florierenden Ledergewerbe, aber auch anderenorts, sollte bekannt sein, dass seit dem 19. Jahrhundert die traditionell verwendeten Naturgerbstoffe (z.B. Eichenrinde) durch chemische Substanzen ersetzt wurden – in erster Linie durch hoch giftige Chromverbindungen (aber auch solche des Arsens und anderer Metalle). Diese dürften in den historischen Ledereinbänden sogar in höherer Konzentration vorliegen als ähnlich wirkende Gifte in gefärbten Vorsatzpapieren oder auf Buchschnitten und könnten, da sie bei der Lektüre am intensivsten berührt werden, ein Gesundheitsrisiko – z.B. für Allergiker – darstellen. Potentiell giftige Stoffe können ferner textile Bucheinbände (nicht nur gefärbte Papp-Deckel) kontaminieren; auch können sie während der gesamten Zeit, in der für den Buch- und Zeitungsdruck Bleilettern verwendet wurden, auf die Schriftseiten gelangt sein. Der Einsatz ungesunder Chemikalien schon bei der Papierfabrikation (oder davor der Pergamentherstellung) wäre gleichfalls zu bedenken. Kurzum: In jedem Teil eines Buches (farbige Illustrationen übrigens eingeschlossen) würde man, wenn man es darauf anlegt, auf Spuren von Giften stoßen können.
    3. der regelmäßig wiederholte Verweis auf das „19. Jahrhundert“ oder gar nur Abschnitte desselben als Untersuchungszeitraum: Mit anorganischen Alternativen zu teuren oder unbefriedigenden pflanzlichen und tierischen Farbstoffen wurde experimentiert, seit der Bergbau farbenprächtige Mineralien ans Licht brachte. Gesundheitlich riskante Farben kamen definitiv lange vor 1800 zum Einsatz. Auch spricht nichts dafür, dass ihr Einsatz pünktlich im Jahre 1900 generell und international schlagartig zurückgegangen wäre und für die Massenproduktion von Büchern bis weit ins 20. Jahrhundert hinein keine Rolle mehr gespielt hätte. –
    Solche buchhistorischen Reminiszenzen helfen natürlich kaum bei der Abwägung realer Gesundheitsrisiken. Diese müssen die Bibliothekare ohnehin medizinisch oder toxikologisch qualifiziertem Personal überlassen, wobei auch bei solchen Experten eine gewisse Meinungsvielfalt vorauszusetzen ist. Ein wenig Trost könnte den aufgescheuchten Bibliothekaren und von ihnen in Panik versetzten Bibliotheksbenutzern vielleicht der sogenannte „gesunde Menschenverstand“ spenden: Im Vergleich zu der Gesamtmenge gesundheitsgefährdender Schwermetalle, die jeder Erdbewohner während seines Lebens aus zahllosen Quellen seiner Umwelt aufnimmt und langfristig im Körper speichert, dürften die eher homöopathischen Dosen, die man sich gelegentlich bei der Lektüre von Büchern vielleicht einfängt, kaum ins Gewicht fallen. Für eine verringerte Lebenserwartung von Berufsgruppen, die jahrzehntelangen besonders engen Kontakt zu historischen Büchern pflegen (Bibliothekare, Antiquare, manche Gelehrte) oder Völkern, die sich intensiv vom bekanntlich stark arsenbelasteten Reis ernähren, spricht statistisch nichts – ganz im Gegenteil!
    (PS: Als Siwiarchiv-Geschädigter weise ich vorsorglich darauf hin, dass dies ein Selbstgespräch war und ich auf die zu erwartenden Unhöflichkeiten gewisser Widersacher nicht reagieren werde.)

  3. In der Siegener Zeitung vom 9.2.2024 erschien der Leserrief „Andere Gefahren größer“ von Dr. Winfried Leist, Bibliotheksdirektor a.D.:
    „Da wird wieder einmal mit Kanonen auf Spatzen geschossen bzw. eine Mücke zum Elefanten aufgeblasen. Sicherlich gibt es eine Gefährdung durch ältere Bücher. Aber sie ist sehr gering im Vergleich zu den tatsächlichenund sehr viel größeren Gefahren, mit denen wir täglich in unseren Städten leben. Etwa durch Asbest, den sehr viiele neuere Häuser ausdünsten. Sein Verbot konnte 1990 nur gegen vielen Widerstand im Bundestag durchgesetzt werden. Hier sind Todesfälle aktenkundig – in Bibliotheken nicht.
    Oder die Gefährdung durch den Feinstaub von abgasen und Abrieb von Reifen. Eine ernste Gefährdung sehe ich auch durch die Produkte unserer Lebensmittelindustrie. Hier wären strengere Gesetze und Überwachung dringend erfordelich. Aber die Industrie wünscht sie auf keinen Fall und setzt das durchihre Vertreter im Bundestag durch.
    Durch Sensationsartikel über zumeist harmlose alte Bücher wird wieder einmal eine dringend notwendige Diskussion auf ein Abstellgleis geleitet und die Öffentlichkeit vergackeiert.
    Ich selbst bin jetzt 86 Jahre alt, habe sehr früh mit vielen alten Büchern zu tun gehabt und bin gesundheitlich noch immer in einem dem Alter zum Trotz recht guten Zustand. Da habe ich offenbar in gefährlicher Umgebung viel Glück gehabt. Nicht nur ich. Denn ich kenne iele alte Kollegen und Wissenschaftler, die offenbar das gleiche Glück hatten. Kann ein in Rente lebender Arbeiter das von sich und seinen Kollegen auch sagen?“

  4. Pingback: Arsenbelastung im Archiv? – archivamtblog

  5. Aktuell zur Arsenbelastung ist:
    Torsten Arndt/Karsten Stemmerich: Zur aktuellen Diskussion um mögliche toxikologische Belastungen beim Umgang mit arsenfarben-haltigen Bibliotheksbeständen (im Druck), PDF

  6. Aus der aktuellen Stunde des Westfälischen Architages 2024:
    “ …. Gesundheitsgefahr Arsen – Marcus Stumpf, Vertretung für Birgit Geller.
    In grünen Einbänden von Büchern des 19. Jahrhunderts könnte potentiell Arsen belastete Farbe verarbeitet worden sein. Durchgeführte Tests seien jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Vergiftung mit Arsen bei normalen Arbeitsbedingungen so gut wie ausgeschlossen ist. Daher sind auch keine tiefergehenden Vorsichtsmaßnahmen erforderlich.
    Es wurde abschließend trotzdem auf die Wichtigkeit der Einhaltung von hygienischen Arbeitsmaßnahmen hingewiesen. …“

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