Viele Hinterbliebene fühlen sich mit dem Nachlass aus einem Künstlerleben überfordert. Bundesweit haben sich zahlreiche Initiativen des Themas Künstlervor- und -nachlässe angenommen. Der Bundesverband Künstlernachlässe e.V., der solche Initiativen vernetzt und berät, verfolgt das Ziel der Anerkennung solcher Nachlässe als schützenswertes Kulturgut. Die Kulturstiftung der Länder formuliert in einem Positionspapier Handlungsempfehlungen für das Zusammenwirken der relevanten Akteure und Kriterien für die Beurteilung von Künstlervor- und -nachlässen.
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Als der Mannheimer Collagist Norbert Nüssle im Alter von 80 Jahren verstirbt, beginnt für Karin Nüssle die Arbeit – hunderte Leinwände und Collagen hat ihr Mann hinterlassen, manche davon so groß wie Garagentore. Wie trennt man Wichtiges von Unwichtigem? Wo können die Werke aufbewahrt werden? Wie macht man sie der Nachwelt zugänglich? Ohne die Unterstützung der Initiative Künstlernachlässe Mannheim hätte Karin Nüssle den Nachlass nicht erschließen und bewahren können.
„Das Thema Künstlernachlässe ist kein kulturpolitisches Nischenthema. Vor- und Nachlässe zu bewahren heißt, unser kulturelles Erbe zu sichern. Dieser Aufgabe müssen wir uns jetzt stellen. Nicht jeder Künstler bekommt sein eigenes Museum und nicht jeder Nachlass kann in eine Museumssammlung übergehen. Wir müssen Erben die dringend benötigte Unterstützung bieten und Hilfestellungen für Künstlerinnen und Künstler schaffen, damit diese im besten Fall ihr Werk schon zu Lebzeiten systematisch erfassen und digitalisieren können“, so Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder.
Das Thema Nachlassbewahrung steht zunehmend im Fokus der Aufmerksamkeit von Künstlerinnen und Künstlern, deren Erben, Museen, Archiven, Stiftungen und dem Kunsthandel. Die Anliegen und Herangehensweisen der Akteure sind dabei vielfältig. So übernehmen beispielsweise Museen und der Kunsthandel häufig die Nachlässe etablierter Künstlerinnen und Künstler; Galerien und Auktionshäuser bieten Beratungen an. Überregional bedeutende Künstlerinnen und Künstler werden zumeist von Archiven wie dem Archiv für Künstlernachlässe (AfK) der Stiftung Kunstfonds in Pulheim-Brauweiler übernommen. Um den Erhalt von Kunstwerken regional und lokal bedeutender Künstlerinnen und Künstler kümmern sich zahlreiche lokale Initiativen und bieten Unterstützung.
Der Bundesverband Künstlernachlässe e.V. vertritt die Interessen solcher Initiativen und Akteure, die sich dem Bewahren, Erfassen sowie der Erforschung und Vermittlung von Nachlässen bildender Künstlerinnen und Künstler widmen. „Künstlerisches Erbe ist kulturelles Erbe und seine Vielfalt gilt es zu bewahren“, sagt Prof. Dr. Gora Jain, Vorsitzende des Bundesverbandes Künstlernachlässe e.V.: „Kulturelles Erbe kann nur erforscht und erlebt werden, wenn seine Produktion und seine Bewahrung gefördert werden. Daher muss neben der Künstlerförderung auch die Erhaltung von Kunstwerken im Sinne der posthumen Nachsorge in kulturpolitische Strategien einbezogen werden”, so Jain.
Bereits 2016 hatte der Kulturausschuss der Kultusministerkonferenz auf Anregung der Kulturstiftung der Länder eine Arbeitsgruppe zum Thema Künstlernachlässe beauftragt. Auf Basis der Ergebnisse hat Dr. Britta Kaiser-Schuster, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder, jetzt ein Positionspapier zum Umgang mit Künstlervor- und –nachlässen verfasst.
Das Papier enthält Handlungsempfehlungen, die auf ein „sinnvolles Zusammenwirken zwischen staatlichen, öffentlichen, privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Aufgaben und Akteuren“ abzielen. So solle unter anderem ein „hoher Grad von Eigeninitiative von seiten der Vor- und Nachlasshalter sowie deren Kooperationsbereitschaft mit wissenschaftlichen und Facheinrichtungen“ Voraussetzung für ein Beratungsangebot sein. Beratungsangebote für Künstlernachlässe seien ein wichtiger Beitrag zur Bewahrung kulturellen Erbes; sie sollten grundsätzlich in das Förderspektrum der öffentlichen Hand aufgenommen werden, heißt es in dem Papier.
Die wissenschaftliche Rezeption eines künstlerischen Oeuvres durch die kunsthistorische Forschung könne nur gelingen, wenn die Auffindbarkeit von künstlerischen und schriftlichen Nachlässen gewährleistet werde. Daher sei die digitale Erfassung eines Kernbestands eines Nachlasses ein wichtiger Schritt zur Förderung von dessen Sichtbarkeit. Die Inventarisierung und Digitalisierung nach einheitlichen Standards könne sich an den Formaten der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG orientieren. Zentralisierte bundesweite Lösungen für die Aufbewahrung von Künstlernachlässen seien wenig praktikabel. Eine zentrale regelmäßig erreichbare Beratungsstelle böte sich an. Neben den Handlungsempfehlungen enthält das Positionspapier Kriterien für die Bewertung der Bewahrungswürdigkeit von Vor- und Nachlässen.
Nach dem Tod von Norbert Nüssle hatte die Initiative Künstlernachlässe Mannheim seine Ehefrau dabei unterstützt, das Atelier zu räumen, die Werke systematisch zu erfassen und anschließend einzulagern. Norbert Nüssle hatte zu Lebzeiten beispielsweise mit dem Deutschen Künstlerbund in der Paulskirche in Frankfurt ausgestellt; die Bundeskunsthalle hatte einige seiner Werke erworben. Erst nach seinem 75. Geburtstag hatte er begonnen, sein Werksverzeichnis anzulegen, fertig wurde es nicht mehr. „Es ist wichtig, die Werke von Künstlerinnen und Künstlern aufzubewahren und zu pflegen“, sagt Karin Nüssle: „Denn sie sind Teil unserer Vergangenheit und tragen zu unserer regionalen und kulturellen Identität bei. Ich würde mir wünschen, dass das öffentliche Bewusstsein dafür gestärkt wird. Wir müssen die Werke der Nachwelt zugänglich machen – Schulen ansprechen, Ausstellungen organisieren, die Bedeutung der Künstlerinnen und Künstler vermitteln“.
Hier klicken: Einige Initiativen im Überblick in der aktuellen Ausgabe von Arsprototo
Quelle: Kulturstiftung der Länder
s. a. siwiarchiv v. 11.11.2018