Vergleichsvorschlag Einsturz Historisches Archiv

Stadt Köln bereitet Entscheidung vor

Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Stadtdirektor Dr. Stephan Keller haben in der Sitzung den Rat der Stadt Köln am 18.JUni über den aktuellen Stand der Verhandlungen mit der Arbeitsgemeinschaft der am Bau beteiligten Bauunternehmen des Gleiswechselbauwerks am Waidmarkt der geplanten Nord-Süd-Stadtbahn unterrichtet. Im Zuge dieser Bauarbeiten stürzte im März 2009 das anliegende Historische Archiv und benachbarte Wohngebäude ein, Menschen verloren ihr Leben, viele Menschen ihre Wohnungen, Interimslösungen mussten unter anderem Hunderte von Schülern in den nächsten Jahren hinnehmen. Das Stadtquartier ist bis heute von den Folgen gekennzeichnet.

Die Verwaltung bereitet derzeit eine Vorlage für eine Sondersitzung des Rates vor, die einen außergerichtlichen Vergleich vorsieht. Vorgesehen ist eine Entscheidung in einer Sondersitzung des Rates am 29. Juni 2020, 18 Uhr.

Nachstehend veröffentlichen wir die wesentlichen Teile der Wortbeiträge:

Oberbürgermeisterin Henriette Reker:

„Wir werden Ihnen in den nächsten Tagen den Vorschlag zum Abschluss eines außergerichtlichen Vergleiches zur Entscheidung vorlegen. Der Vergleich mit der Arge ist – angesichts der Rahmenbedingungen und der Beweislast – eine gute Nachricht für Köln!“

„Lassen Sie mich noch einmal in aller Kürze herleiten, warum ich die gefundene Lösung von Anfang an befürwortet habe: Der Einsturz des Stadtarchives und der angrenzenden Häuser mit drei Todesopfern, dem Verlust des angestammten Quartieres für viele Anwohner, den darauffolgenden Interimssituationen für Schulen und das ganze Severinsviertel begleitet uns seit über elf Jahren. Der Schock saß und sitzt auch heute noch in der Stadt sehr tief. Aber – und das zeichnet Köln auch aus – wir sind nicht in einer Schockstarre verharrt. Wir haben gehandelt, Archivalien geborgen und gerettet, uns bemüht, die Folgen für die Betroffenen abzumildern. Und wir haben auch andere Lehren daraus gezogen. Die Stadt sah sich damals -wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen – im Mittelpunkt eines tiefen Misstrauens ihrer Bürgerschaft. Mit neuen Dialogformen, mehr Beteiligung, vielen Gesprächen und viel Transparenz haben wir das aufarbeiten können und uns darum bemüht. Und wir haben gehandelt.“

„Und darum geht es auch jetzt: Wir beweisen Handlungsstärke! Ich bin der Auffassung, dass wir uns nach jahrelangem juristischem Ringen um eine Lösung keinen weiteren Stillstand leisten können!“

„Wir sollten mit dem Vergleich einen jetzt zügigen Neustart am Waidmarkt möglich machen. Nicht nur mit Blick auf den Weiterbau der wichtigen Nord-Süd-Stadtbahn und ihrer verkehrlichen Bedeutung sondern auch für das gesamte Quartier und das tut auch dem Selbstbewusstsein dieser Stadt gut. Ich votiere für den Vergleich, weil wir sonst auf unabsehbare Zeit den Wiederaufbau unterirdisch und auch oberirdisch verschieben. Der Waidmarkt ist juristisch und auch bodengutachterlich komplexestes Gebiet, das haben wir in den vergangenen elf Jahren gelernt. Solche Verfahren sind automatisch risikobehaftet und vor allen Dingen kosten sie viel Zeit. Und diese Zeit sollten wir limitieren und jetzt den Weg freimachen für diesen wichtigen Neustart.“

„Ich halte den Vergleichsvorschlag angesichts der Gesamtumstände für sehr gut annehmbar. Er sichert den zügigen Weiterbau und damit endlich die Möglichkeit, das Quartier wieder herzurichten. Und das soll mit breiter Beteiligung der Kölnerinnen und Kölner geschehen. Wir haben mit ihnen auch schon gesprochen. Der Vergleich enthält übrigens auch den angedachten Gedenkraum, wie er von vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern gewünscht wird, Gruppen, die auch in den vergangenen Jahren sich mit den jährlichen Gedenkveranstaltungen engagiert haben.“

Stadtdirektor Dr. Stephan Keller skizzierte die Eckpunkte des Vergleichsvorschlages:

“ Der dem Rat der Stadt Köln vorgelegte Vergleichsvorschlag ist Ergebnis eines Moderationsverfahrens zwischen den Parteien, moderiert von renommierten Experten im Bereich von Großschäden bei Bauvorhaben und Mediationsverfahren. Dieser Vorschlag ist von folgenden Kernaussagen getragen:
1. Schadensursache geklärt Mit Abschluss des Vergleiches ist die Einsturzursache aus Sicht der Stadt Köln nunmehr abschließend geklärt. Das Ergebnis des im Auftrag des Landgerichts Köln tätigen Sachverständigen Prof. Kempfert wird bestätigt.
2. Finanzieller Ausgleich Durch die Zahlungsverpflichtung der ARGE Los-Süd werden sämtliche bislang entstandenen Schäden ersetzt und die Generationenaufgabe der Restaurierung der Archivalien dauerhaft gesichert.
3. Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens Durch den Abschluss eines Vergleiches wird ein langjähriges Klageverfahren durch vermutlich alle Instanzen vermieden. Käme ein Vergleich nicht zustande, so stünde nach Abschluss des laufenden Beweisverfahrens die Erhebung der Klage und die gleichzeitige Fortsetzung bzw. Ausweitung der Beweisverfahren an. Aufgrund der Schadenshöhe und der rechtlichen Streitpunkte ist damit zu rechnen, dass das Verfahren bis hin zum Bundesgerichtshof zu führen wäre. Mit einer rechtskräftigen Entscheidung wäre damit nicht vor Ablauf von zehn bis fünfzehn Jahren zu rechnen.
4. Sanierung und Fertigstellung der Baustelle Durch die Zusage der ARGE, die U-Bahn auf eigene Kosten fertig zu stellen, hat die Fertigstellung der Baustelle und damit auch die Inbetriebnahme der Nord-Süd-Stadtbahn eine realistische und zeitlich belastbare Perspektive. Geschaffen wird zudem eine neue Basis der Zusammenarbeit für die Vertragsparteien der KVB AG und der ARGE Los-Süd geschaffen.
5. Gedenkraum „K³“ Die Wunde am Waidmarkt wird geschlossen und gleichzeitig durch die Errichtung des „K³“ ein würdiger Gedenkort geschaffen. Der Auftrag des Rates vom 4. April 2019 wird somit umgesetzt.
6. Würdigung der Vergleichssumme Unter Würdigung aller Szenarien und Risiken ist die Vergleichssumme von 600 Millionen Euro ein vertretbares Ergebnis für die Stadt. Die seit Jahren öffentlich diskutierte Zahl von über einer Milliarde Euro ist eine Maximalforderung, deren Durchsetzung –wie in jedem gerichtlichen Verfahren mit erheblichen Prozessrisiken verbunden wäre.
Quelle: Stadt Köln, Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Inge Schürmann, vom 18.6.2020

s. a.
KStA, 18.6.2020 (leider hinter der Bezahlschranke)
General-Anzeiger Bonn, 18.6.2020 [mit folgendem Statement der Baufirma Bilfinger: “ …. Ein Sprecher der Firma Bilfinger bestätigte die Einigung auf 600 Millionen Euro, vorbehaltlich einer Zustimmung des Stadtrats. Auf Bilfinger würden dabei 200 Millionen Euro entfallen. „Wir freuen uns, dass wir damit einen weiteren Schritt zur Beseitigung von Altlasten machen, falls der Rat zustimmt“, sagte der Sprecher der Deutschen Presse-Agentur. Die Zahlung habe keine finanziellen Auswirkungen auf das Unternehmen. „Wir sind ausreichend versichert.“ …..“ ]
SpiegelOnline, 19.6.2020 via Archivalia
WDR.de v. 19.6.2020

FAZ, 196.2020 via St. Sch.(Danke für den Hinweis, aber leider hinter der Bezahlschranke)  [„…. Wenn die Ratsmitglieder der Transaktion zustimmen, müsste die klamme Kommune auf bis zu 700 Millionen verzichten, die etwa für die Resraurierung von Hunderttausenden Karten aus dem Archiv gebraucht würden. Hinzu kommen auch Kosten für den Bau des neuen Archivgebäudes,…..]
– Kommentar „Der ausgehandelte Vergleich kann durchaus überzeugen“ von Tim Attenberger in KStA v. 19.6.2020 (leider hinter der Bezahlschranke)

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