„Siegen an der Heimatfront“. Exponate aus Privatbesitz werden gesucht.

Geschichtswerkstatt und Stadtarchiv Siegen planen Ausstellung zum 1. Weltkrieg

„Weihnachten feiern wir in der Heimat!“ Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, glaubten nicht nur die in’s Feld ziehenden Soldaten an einen kurzen Feldzug. Die letzte große kriegerische Auseinandersetzung, der deutsch-französische Krieg von 1870/71, hatte gerade einmal zehn Monate gedauert – lag aber auch mehr als vier Jahrzehnte zurück. Nun sollte ein mehr als vier Jahre
andauerndes Massensterben folgen, das entsprechend dem Zeitalter der Hochindustrialisierung in Materialschlachten von ungekannten Ausmaßen ausgetragen wurde. Der ursprünglich europäische Konflikt geriet zu einem Weltkrieg, der nicht wie in bisherigen Kriegen nur an den Fronten ausgefochten wurde, sondern ebenso in alle Bereiche des täglichen Lebens der Menschen eingriff, die weit entfernt von den Schlachtfeldern in ihrer Heimat – an der so genannten „Heimatfront“ – ihr Überleben sichern mussten. Nicht zu Unrecht wird daher der Erste Weltkrieg von Historikern auch als der erste totale Krieg bezeichnet.

2014 jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal. Aus diesem Anlass beabsichtigt die Geschichtswerkstatt Siegen – Arbeitskreis für Regionalgeschichte e.V.“ in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Siegen eine Ausstellung über die Auswirkungen des Weltkrieges auf das Leben in der Krönchenstadt. Der vorläufige Arbeitstitel des Projektes lautet: „Siegen an der Heimatfront – 1914-1918 – Weltkriegsalltag in der Provinz.“ Unterstützt wird die Ausstellung auch von KulturSiegen und der Volkshochschule Siegen.

„Anders als beim 2. Weltkrieg, als Bombenflugzeuge Tod und Zerstörung bis in den letzten Winkel der beteiligten Mächte trugen, wissen wir beim 1. Weltkrieg nur wenig über die Auswirkungen des Krieges auf die gesellschaftlichen Verhältnisse an der so genannten Heimatfront. In unserer Vorstellung fand dieser Krieg fast ausschließlich in den Stellungskriegen entlang der Westfront, in den sinnlosen Materialschlachten um Verdun oder dem Einsatz von Giftgas statt. Allenfalls assoziieren wir das Kriegsende mit der Novemberrevolution von 1918 beziehungsweise dem Ende der Monarchie und der Flucht Kaiser Wilhelms II. in die Niederlande“, so der Vorsitzende der Geschichtswerkstatt Dr. Bernd D. Plaum. Abgesehen von der vermeintlichen Kriegsbegeisterung während der Mobilmachungstage nehme man das Geschehen im Hinterland des Krieges vielleicht noch im Zusammenhang mit der als Steckrübenwinter 1916/17 bekannt gewordenen Hungersnot in Deutschland wahr.
Insbesondere an der katastrophalen Lebensmittelversorgung lasse sich aufzeigen, wie sehr das Kriegsgeschehen das Leben der Menschen beeinträchtigte. Denn bereits kurz nach Kriegsbeginn wurde von den Alliierten eine Handelsblockade zur See gegen Deutschland errichtet, wodurch das Kaiserreich, immerhin bis 1914 der weltweit größte Importeur von Agrarprodukten, empfindlich getroffen wurde. Es folgten Lebensmittelrationierungen, Ersatzwirtschaft und Nahrungsmittelknappheit.

„Der Aspekt Versorgung der Stadt und des Umlandes mit Lebensmitteln und Rohstoffen während der vier Kriegsjahre ist sicherlich nur einer der Ansatzpunkte, um die Vielfältigkeit der Thematik aufzuzeigen“, wie Ludwig Burwitz, Leiter des Siegener Stadtarchivs, Kooperationspartner der Geschichtswerkstatt bei der Ausstellungsvorbereitung, ausführt. „Die katastrophale Versorgungslage führte nicht nur zu einer strikten Rationierung der wenigen Lebensmittel und zur Einrichtung von Suppenküchen, immer neue Ersatzstoffe mussten den Speiseplan ergänzen, Schulkinder wurden in die Wälder geschickt, um Brennnesseln oder Laubheu zu sammeln.“

Steigende Lebensmittelpreise und die Tatsache, dass in vielen Familien der Ernährer fehlte, führten dazu, dass immer mehr Frauen aus dem Haushalt in das Berufsleben wechseln mussten. Sie wurden Krankenschwestern, Postbotinnen oder Straßenbahnschaffnerinnen. Und die Industrie brauchte Arbeitskräfte, nicht nur weil die Arbeiter an die Front abgezogen wurden, vielen Firmen erlebten durch die Umstellung der Produktion auf Rüstungsgüter einen ungeahnten Aufschwung. So waren beispielsweise bei der Eiserfelder Maschinenfabrik Paul Hoffmann im Jahre 1913 nur 31 Arbeiter registriert; 1918 arbeiteten bei der gleichen Firma 200 Arbeiterinnen über 18 Jahre in der Geschossdreherei und gar über 500 Arbeiterinnen über 16 Jahre im Zünderbau.
Ganz erheblich war auch in die Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften in den zahlreichen zusätzlichen Lazaretten, die in Siegen eingerichtet wurden. So genannte Reservelazarette gab es in der Nordschule, dem Kaisergarten, dem Haus der „Loge zu den drei eisernen Bergen“ und im Walderholungsheim des Vaterländischen Frauenvereins im Charlottental. Eine Folge dieser gestärkten Stellung der Frau in der deutschen Gesellschaft war auch die Einführung des Frauenwahlrechts im Jahr 1919.

Der Krieg in der Heimat bestand auch aus einer Vielzahl ehrenamtlicher Tätigkeiten: So wurden Pakete mit Liebesgaben an die Front geschickt, Frauen fanden sich zum gemeinsamen Stricken von Socken oder Handschuhen für die Frontsoldaten zusammen und Kinder sammelten Geld. Zur Finanzierung des Krieges wurden immer wieder Kriegsanleihen gezeichnet, Gold gab man für Eisen, Kirchenglocken wurden eingeschmolzen und im Januar 1916 wurde in der Siegener Bürgergesellschaft eine Nagelsäule eingeweiht. Diese war sechs Meter hoch und bestand aus einem Kopf für die Stadt Siegen und acht Trommeln, die in den Ämtern des Landkreises aufgestellt wurden. In diese konnte man zugunsten der „Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen“ Nägel zum Preis zwischen 50 Pfennig und 3 Mark einschlagen. Erwartet wurde für den guten Zweck ein Reingewinn von etwa 25.000 Mark. 1920 wurde die „Eiserne Säule“ am Oberen Schloss zusammengesetzt und aufgestellt, ein Plan von 1930 weist allerdings nur noch die gusseiserne Bodenplatte aus. Für die Ausstellungsmacher wäre es ein besonderer Höhepunkt, sollte dieses monströse Relikt aus dem Ersten Weltkrieg wieder auftauchen.

Als weiteren interessanten Themenkomplex nennt Ludwig Burwitz die innere Sicherheit. „Unmittelbar nach Kriegsausbruch grassierte die Angst vor Spionen wie auch vor Anschlägen auf militärische und zivile Objekte.“ So wurde beispielsweise ein in Siegen lebender englischer Sprachlehrer in Gießen interniert, seine Frau, eine gebürtige Siegenerin, musste sich täglich bei der Polizei melden – was ihr offensichtlich zu umständlich war, nach zwei Besuchen auf der Wache meldete sie sich bettlägerig krank.
Wie ging man mit in Siegen mit Kriegsgefangenen um? Russische, französische, belgische und serbische Gefangene arbeiteten in Siegener Industriebetrieben, eine nicht unerhebliche Zahl wurde in Siegener Lazaretten behandelt, wovon auch Kriegsgräber auf Siegener Friedhöfen Zeugnis ablegen.
Mit welchen Mitteln der Propaganda wurde die Moral an der Heimatfront gestärkt? Welche Rolle spielten die Kirchen in diesem Zusammenhang? Und wie wirkte sich die Zensur auf die Informationslage der Bevölkerung aus?

Gegenwärtig befinden sich die Veranstalter noch in einer intensiven Themen- und Materialfindungsphase, denn eines dürfte klar sein: „Angesichts der Fülle der möglichen Themen werden wir uns auf die Dokumentation einiger Aspekte beschränken müssen“, stellt Christian Brachthäuser vom Stadtarchiv Siegen klar. Aber Geschichtswerkstatt und Stadtarchiv suchen für ihr ehrgeiziges Projekt auch ganz bewusst die Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit. „Wir möchten die Bürger aufrufen, uns potenzielle Exponate für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Wir verfügen zwar bereits über eine ganze Reihe von Fotos, Ansichtskarten, Propagandaplakaten und Schriftstücken, aber wir sind uns sicher, dass in Privatbesitz oder in den Archiven der Heimatvereine und Sammler noch mancher unentdeckte Schatz aus dieser Zeit schlummert. Wir suchen daher nicht nur bildliche Dokumente, sondern auch allerlei Gegenstände des Alltaglebens. Das können Gebrauchsgegenstände wie Spielzeug oder kleinere Haushaltsgeräte ebenso sein wie persönliche Kleidungs- und Erinnerungsstücke oder Militaria der Kriegsheimkehrer“, wie Brachthäuser ausführt.

Interessierte sind daher ab sofort herzlich eingeladen, sich mit dem Stadtarchiv in Verbindung zu setzen, um sich näher über die Möglichkeiten der Überlassung einzelner Exponate zu informieren. In den klimatisierten Magazinräumen des Stadtarchivs im Siegener KrönchenCenter werden die Objekte bis Ausstellungsbeginn übrigens bestens untergebracht sein. „Schenkungen werden von uns ebenso gerne in Empfang genommen wie Leihgaben, die nach Ausstellungsende den Eigentümern natürlich wieder unversehrt ausgehändigt werden. Und selbstverständlich werden alle Leihgeber auch namentlich auf den dazugehörigen Schautafeln erwähnt“, so Ludwig Burwitz.
Die Sichtung der zur Verfügung gestellten Ausstellungsstücke soll möglichst bis zum Jahresende abgeschlossen sein. Gleich zum Start des neuen Jahres geht es in den Vorbereitungsendspurt. Aus der sortierten Sammlung werden dann jene Gegenstände auserwählt, die für die Ausstellung infrage kommen. Diese Vorlaufzeit hat seinen Grund. Auch wenn die Organisatoren als voraussichtlichen Eröffnungstermin “erst“ den September kommenden Jahres anvisiert haben, so müssen Sachverhalte rekonstruiert, historische Quellen studiert und die Texttafeln für die einzelnen Exponate erstellt werden. Parallel arbeiten Geschichtswerkstatt und Stadtarchiv an der Veröffentlichung eines Begleitkatalogs zur Ausstellung und an einem Sonderband der “Siegener Beiträge“, in dem einzelne Themen rund um den 1. Weltkrieg detaillierter erläutert werden sollen.
Wer also auf dem heimischen Dachboden interessante Fundstücke besitzt, die das Leben an der Siegener Heimatfront anschaulich dokumentieren, ist hiermit herzlich eingeladen, Kontakt zur Geschichtswerkstatt Siegen oder zum Stadtarchiv Siegen aufzunehmen. Die Organisatoren freuen sich auf eine rege Beteiligung.

Kontakt Geschichtswerkstatt:
Tel.: 02734 / 434612
info@geschichtswerkstatt-siegen.de

Kontakt Stadtarchiv:
Stadt Siegen, Stadtarchiv, KrönchenCenter, Markt 25, 57072 Siegen
Tel.: 0271 / 404-3090
E-Mail: L.Burwitz@siegen.de

2 Gedanken zu „„Siegen an der Heimatfront“. Exponate aus Privatbesitz werden gesucht.

  1. Medienecho zum Aufruf für die geplante Ausstellung zum Ersten Weltkrieg an der Siegener Heimatfront:
    1) „Der Geschichtsverein und das Archiv der Stadt Siegen planen für das kommende Jahr eine große Ausstellung zum Ersten Weltkrieg. Dessen Beginn jährt sich dann zum 100. Mal. Ziel der Ausstellung ist es, den Alltag zwischen 1914 und 1918 in Siegen und den umliegenden Dörfern darzustellen, die heute zum Stadtgebiet zählen. Die Organisatoren hoffen auf zahlreiche Leihgaben aus der Bevölkerung. Fotos und Alltagsgegenstände aus der Zeit des Ersten Weltkriegs nimmt das Stadtarchiv Siegen entgegen. Das befindet sich im Krönchencenter in der Oberstadt.“
    Radio Siegen, 19.9.2013
    Zum Hören: http://radio-siegen.de/_pool/files/beitraege/652997.mp3
    2) In den Print-Ausgaben von Siegener Zeitung und Westfälischer Rundschau finden sich heute ebenfalls Artikel über den Aufruf.

  2. Pingback: 250 Ausstellungsstücke für “Siegen an der Heimatfront” | siwiarchiv.de

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