Kommunale Gebietsreform in Rheinland-Westfalen 1975/2025

Call for Papers für die Tagung: „Kommunale Gebietsreform in Rheinland-Westfalen 1975/2025“. Tagung im Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, Duisburg.

Im Jahre 2025 jährt sich für viele Kreise, Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen das fünfzigjährige Jubiläum der kommunalen Gebietsreform. Zwar wurde diese „Jahrhundertreform“ vom Landtag bereits mit der Neugliederung von einzelnen Landkreisen im Jahre 1966 auf den Weg gebracht, allerdings fand sie erst mit der systematischen Neugliederung von zahlreichen Räumen – zu nennen sind vor allem die Gesetze für das Ruhrgebiet, Niederrhein, Münster/Hamm, Düsseldorf, Köln
sowie Sauerland/Paderborn – zum 1. Januar 1975 ihren Abschluss. Der Verfassungsgerichtshof in Münster nahm ein Jahr später noch kleinere gebietliche Korrekturen vor, sodass seitdem 396 Kommunen sowie 31 Kreise im bevölkerungsmäßig größten Bundesland zu verzeichnen sind.
Ohne Zweifel wurde die Gebietsreform in einer planungseuphorischen Zeit durchgeführt: Allerdings lassen die Verfassungsbeschwerden von diversen Kläger-Kommunen erahnen, dass die Gebietsreform eine Maßnahme war, die die Gemüter von vielen Bürgerinnen und Bürgern erhitzte. Zugleich gab es leidenschaftliche Verfechter dieses in ihren Augen dringend notwendigen Schrittes. Für die Veranstalter bietet das bevorstehende Jubiläum Anlass und Gelegenheit, einerseits die seinerzeitigen Maßnahmen und Ereignisse, andererseits aber auch die langfristigen Folgen dieser
Reform genauer zu beleuchten. Folgende Themenschwerpunkte sollen daher auf der Tagung diskutiert werden:


Themenfeld 1: Kommunalreformen im Wandel der Zeit

Für die Veranstalter ist es wichtig zu betonen, dass es auf dieser Tagung nicht um die Erzählung von Neugliederungsabläufen in einzelnen Orten gehen soll. Stattdessen liegt das Interesse auf einer Gesamtschau der Kommunalreformen und ihre Einordnung in die Zeitläufe. Von Belang ist daher auch ein ideengeschichtlicher Zugang: Betrachtet werden kann hier die Vorgeschichte der Kommunalreformen 1975. Darunter fallen die ungelösten Raumprobleme des Alten Reichs, Grenzveränderungen kommunaler Räume im 19. und 20. Jahrhundert, die Geschichte der Ämter als Vorläufer der durch die Gebietsreform eingeführten Großgemeinden, die Eingemeindungen in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Verbindung mit den Raumordnungsdebatten sowie Fragen der Kontinuität zu Raumordnungsplanungen der NS-Zeit.
In diesem Themenfeld soll darüber hinaus auch die Durchführung der kommunalen Gebietsreform selbst diskutiert werden: Welche Rolle spielten die Ministerien (allen voran das Innenministerium) und die Bezirksregierungen bei der Umsetzung der Reform? Hatten etwa personelle Kontinuitäten/biographische Prägungen der Entscheider Auswirkungen auf den Reformprozess? Nicht zuletzt kann auch die Rolle von (externen) Expertinnen und Experten mit ihren eingebrachten Gutachten einer kritischen Analyse unterzogen werden. Aufgrund dessen sind Beiträge zur „top –
down“ Perspektive, d.h. die Betrachtung der Kommunalreformen als ein von der Landesregierung gesteuertes Verfahren, besonders erwünscht.

Themenfeld 2: Rezeption und Auswirkungen der Kommunalreformen
Die Kommunalreformen haben Auswirkungen, die bis heute reichen und nahezu alle Bürgerinnen und Bürger betreffen – deutlich sichtbar wurde dies zum Beispiel bei der Änderung von Ortsschildern oder von Straßennamen. Für die Rezeption der Reformen selbst spielt die zeitgenössische mediale Begleitung eine große Rolle. Dies führt zu der Frage, welche Diskussionen um die Kommunalreformen immer wieder geführt wurden und werden? In diesem Themenfeld ist ebenfalls die Bilanz der Kommunalreformen von großer Bedeutung. Was haben die Reformen gebracht? Welche Auswirkungen und Effekte gab es im Hinblick auf Effizienz und Partizipation? Welche konkreten Konsequenzen hatten die Reformen auf die kommunalen Verwaltungen, auf Museen,
Theater, Archive und das damit einhergehende kulturelle Selbstverständnis der Kommunen? Wurden Infrastrukturmaßnahmen (Verkehrswege, Verlagerung von Einkaufszentren, Energie- und Wasserversorgung etc.) angestoßen bzw. angesichts der neuen Verwaltungsgrenzen verändert und angepasst?

Themenfeld 3: Vergleich mit anderen Räumen
Auch in anderen Bundesländern sind die Entscheider zu der Erkenntnis gelangt, dass die gebietlichen Strukturen nicht mehr zeitgemäß waren. Demzufolge ist ein Vergleich mit Kommunalreformen in anderen (Bundes-) Ländern lohnenswert, da somit Mechanismen der Reformen pointiert herausgearbeitet werden können. Erwünscht sind daher Beiträge, die sich mit Reformkonzepten anderer Bundesländer, anderer europäischer Länder oder gar weltweiten Reformvorhaben (z.B. USA) beschäftigen. Willkommen sind jedoch auch Beiträge, die eine Umsetzung (und Aufnahme) der
Reform innerhalb NRWs zwischen verschiedenen Räumen thematisieren – etwa zwischen Stadt und Land. Hiermit stehen die Veranstalter einem komparatistischen Ansatz offen, der sowohl zeitliche als auch über- bzw. regionale Vergleiche zulässt. Wie gestaltete sich darüber hinaus der Transfer der Raumordnungskonzepte nach Ostdeutschland – zum Beispiel in das NRW-Partnerland Brandenburg in den 1990er Jahren? Lassen sich Aussagen über den Erfolg oder Misserfolg der Reformprojekte
treffen?

Themenfeld 4: Einflüsse gesellschaftlicher Akteure
Neben den Entscheidern in Politik und Verwaltung spielten auch andere gesellschaftliche Akteure eine bedeutsame Rolle. Welchen Einfluss und Anteil hatten Vertreter der Wirtschaft (IHK, Großfirmen etc.), der Kirchen oder auch der Verbände (Kommunalverbände, sonstige Interessenvertretungen) an der Umsetzung der Gebietsreform? Für die Thematisierung weiterermöglicher Akteure sind die Veranstalter offen.

Themenfeld 5: Die Kommunalreformen in kulturgeschichtlicher Perspektive
Neben dem Kernpunkt der Gebietsreform der 1960er/70er Jahre, die Schaffung neuer, effizienter Gebiets- sowie Verwaltungsstrukturen, waren auch identitätsstiftende Aspekte durchaus Begleiterscheinungen dieser Maßnahme. Die Veranstalter interessieren sich daher besonders für folgende Fragen: Wie werden die Kommunalreformen bis heute wahrgenommen (z.B. Wiederaufleben alter Autokennzeichen, lokale Festkultur)? Wie hat sich das Konzept „Heimat“
entwickelt oder gar gewandelt? Wurden regionale Besonderheiten durch die Reformen abgeschliffen (etwa Lippe, Wittgenstein etc.)? Inwieweit trat generell ein gewisser Normierungseffekt ein? Welche Erkenntnisse lassen sich aus der Namensgebung der neuen Einheiten ziehen (etwa Neunkirchen-Seelscheid, Herzebrock-Clarholz usw.)? Wie wurden Kommunalwappen angepasst bzw. neu geschaffen? [Dies sind nur einige Fragen, die auf der Tagung eingehender betrachtet werden können.]

Themenfeld 6: Didaktische Vermittlung der Kommunalreformen
Schließlich bietet dieses Themenfeld Raum für Antworten auf folgende Fragen: Wie kann die Vermittlung der Reformen als historisches Thema für Schulen, Universitäten und Museen aussehen?
Die Veranstalter erhoffen sich Beiträge, wie das Thema in den Schulunterricht eingebettet bzw. in der universitären Lehre ausgestaltet werden kann und wie die Aufbereitung im Rahmen von Ausstellungen aussehen kann. Voraussetzung für diese mögliche Vermittlung ist selbstverständlich das Wissen um die Quellenlage in den Archiven. Was wird wo überliefert? Welche Akteure haben Spuren hinterlassen und wo können Quellen aufgespürt werden?
Die Veranstalter heißen Beitragsvorschläge willkommen, die Aspekte der oben genannten sechs Themenfelder aufgreifen. Ein interdisziplinärer Ansatz wird dabei ausdrücklich begrüßt. Der Themenschwerpunkt der Tagung liegt auf Nordrhein-Westfalen; Vergleiche zu anderen Regionen sind jedoch, wie erwähnt, ausdrücklich erwünscht. Für die Vorträge ist eine Dauer von 30 Minuten vorgesehen.
Ein thematisch übergreifender Abendvortrag zur Raumordnung im Kontext der Zeitgeschichte ist ebenfalls geplant.
Die Beiträge werden in den Reihen „Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen“ sowie „Studien und Darstellungen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde“ erscheinen.
Bitte senden Sie Ihren Themenvorschlag im Umfang von max. 2.000 Zeichen zusammen mit einem Kurzlebenslauf und Ihren Kontaktdaten (E-Mail, Telefon, Einrichtung/Institution) bis zum 1. Oktober 2023 an: Dr. Martina Wiech, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Rheinland, martina.wiech@lav.nrw.de.

Veranstalter:

Dr. Frank M. Bischoff, Prof. Dr. Mechthild Black-Veldtrup, Dr. Johannes Burkardt, Dr. Martina Wiech,
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen
Dr. Frank M. Bischoff, Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde
Prof. Dr. Mechthild Black-Veldtrup, Historische Kommission für Westfalen
Prof. Dr. Sabine Mecking, Brauweiler Kreis
Zum erweiterten Kreis der Veranstalter zählen: Haus der Geschichte NRW, LVR-Institut für
Landeskunde und Regionalgeschichte, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte

Kontakt:
Bei Fragen wenden Sie sich gerne an:
Dr. Martina Wiech
Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland
0203/ 98721-300
martina.wiech@lav.nrw.de

Quelle: Landesarchiv NRW, 20.6.2023

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