Vor 105 Jahren: Dr. med. dent. Robert Krämer (1907 – 1947).

Diagnose: geistiger Brandstifter. Versuch einer biographischen Skizze.

Am 13. Oktober 1907 wurde Robert Krämer als Sohn des Schreinermeisters Robert Krämer[1] und der Luise Krämer geb. Rompel[2] in (Bad) Berleburg geboren. Sein Elternhaus befand sich in der Jakob-Noldestr. 7 (?)[3]. Er hatte noch zwei ältere Schwestern[4]. Krämer gehörte der evangelischen Kirche an[5].

In Berleburg besuchte er drei Jahre die Volksschule, vier Jahre die Mittelschule und zwei Jahre die Realschule. 1923 wechselte er zur Oberrealschule in (Siegen)-Weidenau (heute: Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium, Siegen), wo er am 17. März 1927 (Ostern) das Abitur ablegte.[6]

Mit dem Sommersemester 1927 begann Robert Krämer sein Studium der Zahnmedizin an der Universität Marburg.[7] Im Wintersemester 1927/28 wechselte er an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn[8]. Das Sommersemester 1928 studierte er in Königsberg. Dort trat er auch in den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund ein, dem er bis zum Wintersemester 1930/31 angehörte, ohne allerdings besondere Funktionen übernommen zu haben.[9] Die beiden folgenden Semester kehrte er wieder nach Marburg zurück.[10] Vom 09. November 1929 bis zum 06. November 1932 war er dann an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster eingeschrieben. Zunächst wohnte er in der Graelstr. 44 (bei Licht), später in der Meppenerstr. 14 (bei Frau Anthoff). Im Wintersemester 1930/31 wurde im ein Gebührenerlass gewährt.[11]

Die zahnmedizinische Vorprüfung hat Robert Krämer in Münster am 03. Mai 1929 abgelegt; im Juni 1931 erhielt er ebendort seine Approbation als Zahnarzt. Vom 17. Oktober 1936 bis zum 17. April 1937 studierte er erneut in Münster, um seine Promotion bewerkstelligen. Seine Dissertation “Rassische Untersuchungen an den `Zigeuner`-Kolonien Lause und Altengraben bei Berleburg (Westf.)” reichte er 1937 am Hygienischen Institut der Universität Münster bei Professor Karl Wilhelm Jötten[12] ein. Sie fand reichsweite Verbreitung im „Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie“[13]. Opfermann gibt folgende, zutreffende Beschreibung dieser Arbeit:

“ ….. The Berleburg dentist, Robert Krämer carried out a ´race study´ on the inhabitants of the Hill in 1936. Denying any kind of social determination and any chance of intervention, he categorically supported the race biology doctrine. Passages amounting about eighteen pages of text had been copied from Günther[14]. Krämer´s emphasis was, on the one hand, the really obsessive belittling of his objects of observation, which made the paper a written invective, and on the other hand, the extent to which he attempted to substantiate his claims. He did not confine himself to collecting genealogical and social data, but included the outward appearance recorded in photographs and the results of anthropological measurements. Again the ´blood share´ had been calculated according to the regulations of the Nuremberg laws and the categoreis ´Gypsy´, ´part-Ggypsy first degree´, ´part-Gypsy second degree´ and ´German blooded´had been set up. ´Pure Gypsies´ and ´pure German blooded´ accounted for half of the group, a qurter each. As with Günther, the considerable number of subjects labelled non-Gypsies did not influenced Krämer´s statements and conclusions at all. They too were part of the group labelled as ´Gypsies´.

In addition, Krämer denied that the allegedly typical Gypsy way of life could nnot be stated in the Berleburg Kolonien. He emphasized, even in stronger terms than Günther had before him, the danger of ´bastards´. ´Mixing blood´with the ´scum of the German host nation´ – by which he meant the Jenisch people (´German blooded´) – had caused a ´negative selection´. Thus the ´parasitic constancy of inherited Gypsyness´, already presesnt, had aggravated. Krämer examined the colour of skin, eyes and hair of school children and confirmed the obvious fact denied by Günther that a uniform appearance did not exist. However, the children showes án almost uniform picture of laziness, and mendacity in their character and mental predispositions´. He jugded the election successes of the Communist Party (KPD) at the time of the Weimar Republic on the hill as an expression of collective plotical-genetic deficiencies of character: Untermensch (´subhuman creature´) instinct had made the inhabitants adhere to an Asiatic Weltanschauung rather than to that of the German ´host nation´.

Like Günther, Krämer demanded the extension of the Nuremberg laws to the Gypsies, but only ´as a first step´. As things would developed he thought ´a final solution was neccessary´, which did not explain in any detail. Krämer was supported by informants in the municipal und public-health authorities, and by the local police station, the district court and the archives of the Prince of Wittgenstein-Berleburg. The Catholic school which was attempted by the children of the almost exclusively Catholic minority committed ist pupils to participate in the study but their parents refused to do so.

Race and social-hygiene-experts held Krämer´s enterprise in high esteem. ….

A specific infamy of both Günther and Krämer had been to publicize the names of the subjects of their experiments. Not only did they expose them to ridicule, they also offered to look for the ancestors of name bearers. That was taken up willingly. …”[15]

Der zahnmedizinische Teil der 22 Seiten umfassenden Publikation sei an dieser Stelle als Beleg für die “wissenschaftliche” Arbeitsweise Krämers und für den Inhalt dieser Doktorarbeit wiedergegeben:

“ ….Der bekannte gute Gesundheitszustand der Zähne von Vollzigeunern ist nach Untersuchungen von Engelbarth[16] bei ihnen nicht zu bemerken. Engelbarth fand, daß das leichterkrankte Milchgebiß um 0,37 Zähne je Kopf bei den ´Zigeunerkindern´ höher gegenüber Berleburger Schulkindern erkrankt ist. Das schwererkrankte Milchgebiß um 0,07 höher. Nur das schwererkrankte bleibende Gebiß bildet eine Ausnahme. Es ist um 0,33 Zähne auf jedes Kind geringer erkrankt.

Da die Vollzigeuner, ich denke besonders an die wandernden Zigeuner, in fast denselben, sozialen und hygienischen Verhältnissen leben, dürfte diese größere Kariesfrequenz eine Folge der durch Rassekreuzung bedingten Entartung sein. ….”[17]

Ein letztes Zitat soll zur Verdeutlichung des Charakters der Dissertation genügen. Krämer prognostiziert hierin die Bevölkerungsentwicklung in Berleburg:

“ ….. Betrachtet man nun die Vermehrung der ´Zigeuner´ im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung von Berleburg, so hat die Gesamtbevölkerung nur einen Zuwachs vom Jahre 1875 bis 1933 um 85,4 % erfahren, während zur gleichen Zeit die Anzahl der ´Zigeuner´ in Berleburg um 657 % gestiegen ist, wobei in den Jahren 1921 und 1929 eingemeindete Bewohner der Kolonie Altengraben in der Gesamtzahl vom Jahre 1933 eingerechnet worden sind.   

Würde die Entwicklung so weitergehen, so hätten wir im Jahre 1991 insgesamt 7379 Einwohner in Berleburg, und zwar 5259 zigeunerfreie und 2120 ´Zigeuner´. In weiteren 58 Jahren, also im Jahr 2049, würden es unter 25 146 Einwohner 16048 ´Zigeuner´ geben …..

In 113 Jahren würden aber nach der bisherigen Entwicklung, im Zeitraum 1875 – 1933 betrachtet,  Berleburg doppelt so viel ´Zigeuner´ haben wie zigeunerfrei Einwohner. Es dürfte aber genügen, die Entwicklung im letzten Jahrhundert zu betrachten, um die Größe der Gefahr zu erkennen.   .”[18]

Am 01. November 1931 ließ er sich in Erndtebrück als Zahnarzt nieder. Dort heiratete er am 15. Oktober 1932 Elfriede geb. Hirsch. Im September 1933 wurde sein einziges Kind geboren. Im Juni 1935 verlegte er seine Praxis nach (Bad) Berleburg in die Schloßstr. 25. Im Mai 1936 wurde dort sein zweites Kind geboren.[19]

Am 01. November 1928 wurde er Mitglied der SA; er galt als „erstes Mitglied der SA in Wittgenstein“. Im Oktober 1936 bekleidete er den Rang eines SA-Obersturmführers. Seit dem 01. März 1929 gehörte er der NSDAP an (Mitgliedsnummer 118.958). Mehrere Parteiverfahren wegen Trunkenheitsdelikten bzw. Schlägereien sind bekannt.[20]

1937 wurde er Berleburger Schützenkönig.[21]

Am 6. Januar 1947 ist Robert Krämer in Berleburg gestorben [22].

 

Quellen:

Kreis Siegen-Wittgenstein, Sterbebuch Berleburg 4/1947
Universitätsarchiv Münster, Bestand 209, Karteikarten Robert Ludwig Krämer 
Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestand 305a Acc 1963/13 Nr. 71

Korrespondenz:

Archiv der Universität Bonn, Az. 521-1077/05, Robert Krämer (E-Mail v. 29.06.2005)
Universitätsarchiv Münster, Az.: 52 Tgb. Nr. 370/2005 v. 1.7.2005

 Literatur: 

  • Krämer, Robert: Rassische Untersuchungen an den „Zigeuner“-Kolonien Lause und Altengraben bei Berleburg (Westf.), Diss., Münster 1937. (=Krämer Diss)
  • Opfermann, Ulrich Friedrich: „Daß sie den Zigeuner-Habitus ablegen.“ Die Geschichte der „Zigeuner-Kolonien“ zwischen Wittgenstein und Westerwald, (Studien zur Tsiganologie und Folkloristik Bd. 17), Frankfurt/Main etc. 1992, S. 178-180
  • Opfermann, Ulrich Friedrich: Siegerland und Wittgenstein im Nationalsozialismus. Personen. Daten. Literatur. Ein Handbuch, (Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte, Sonderband 2001) Siegen 2001, S. 236. (=Opfermann, Nationalsozialismus)
  • Opfermann, Ulrich Friedrich: The registration of Gypsies in National Socialism: Responsibility in a German region [Berleburg, Morsbach, Siegen], in: Romani Studies (continuing Journal of the Gypsy Lore Society), 5th Series, Vol. 11, No. 1 (2001), S. 25-52

 

 

 


[1] Krämer Diss., Lebenslauf.

Bereits 1929 wird der Vater auf den Karteikarten der Universität Münster als verstorben gekennzeichnet.

[2] Sterbebuch Berleburg Nr. 4/1947

[3] Universitätsarchiv Münster, Bestand 209, Karteikarten Robert Krämer

[4] Universitätsarchiv Münster, Bestand 209, Karteikarten Robert Krämer

[5] Universitätsarchiv Münster, Bestand 209, Karteikarten Robert Krämer

[6] Krämer Diss., Lebenslauf

[7] Universitätsarchiv Münster, Bestand 209, Karteikarten Robert Krämer. Krämer immatrikulierte sich am 28. April 1927 und wohnte in einer Wohnung in der Marburger Neustadt 24. Folgende Vorlesungen belegte er: Anatomie für Studenten der Zahnheilkunde (Dr. Nauck), Propädeutischer Kurs der Zahnersatzkunde (Prof. Seibel), Zahnärztliche Materialkunde (N. N.), Experimentalphysik (Prof. Grüneisen), Anorganische Experimentelle Chemie (Prof. v. Anvers). Die Studiengebühr in Höhe von 338, 25 M beglich er in zwei Raten. Am 03. August 1927 exmatrikulierte er sich (Hess. Staatsarchiv Marburg Bestand 305a Acc 1963/13 Nr. 71, frdl. Hinweis Dr. Auerbach, Marburg).

[8] Universitätsarchiv Bonn v. 29.06.2005

[9] Universitätsarchiv Münster, Bestand 209, Karteikarten Robert Krämer

[10] Universitätsarchiv Münster, Bestand 209, Karteikarten Robert Krämer

[11] Universitätsarchiv Münster, Bestand 209, Karteikarten Robert Krämer

[12] Zur Person Jöttens sei auf folgende Literatur verwiesen: Reploh, Heinrich: Prof. Dr. Karl Wilhelm Jötten 70 Jahre. Deutsche Medizinische Wochenschrift 81 (1956) 312 [Bem.: Reploh war Jöttens Nachfolger in Münster]; Kehrer, Ferdinand Adalbert/Eyer, Hermann/Reploh, Heinrich: Karl Wilhelm Jötten: geboren am 4. März 1886, Gestorben am 13. Mai 1958, emerit. Ordentl.. Prof.. für Hygiene u. Bakteriolog. Ansprachen bei d. Gedenkfeier d. med. Fak. D. Westfäl.  Wilhelms-Univ. Münster am 24. Juli 1958, Münster 1958; Meckmann, Uta Maria: Das Hygienische Institut bzw. das Hygiene-Institut – seit 1986 Institut für Medizinische Mikrobiologie – der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Inaug.-Diss. Münster 1995.

[13] Ebenda, Band 31, Heft 1, München 1937, S. 33-56. “Da das Dekanat der Medizinischen Fakultät 1944 ausbrannte, ist leider  keine Promotionsakte vorhanden ….” Universitätarchiv Münster v. 01.07.2005; Universitätsarchiv Münster, Bestand 209, Karteikarten Robert Krämer

[14] Günther, Th. :Über die Zigeuner Verhältnisse in Berleburg, Maschinenschriftl.  (o. O., o. D.). Theodor Otto Ludwig Günther, geb. am 10.12.1902 in Flemmingen, gest. 1996, wohnte zunächst in Berleburg, später in Leverkusen; Dr. jur., Volkswirt; gehörte dem Freikorps/Bund Oberland an, seit 1923 Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer: 31.7000), eigenen Angaben zufolge ausgetreten trat er erneut 1937 in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer: 4.285.105); 1933 – 1939 Bürgermeister in Berleburg, dort auch Kreisbeauftragter für Rassepolitik; nach 1945 als NS-belastet von der Militärregierung interniert; 1947 auf Verlangen der Militärregierung als Bürgermeister von Berleburg entlassen; danach als Justitiar der Bayer AG in Leverkusen (so Opfermann Nationalsozialismus, S. 227). Opfermann charakterisiert Günther wie folgt: “Zumindestens mit dem rassepolitischen Kurs der Partei und der staatlichen Politik war er keineswegs nicht immer einverstanden: die waren ihm nicht radikal genug. Dabei hatte er den Konflikt nicht gescheut und sich selbstbewußt über die gezogenen Grenzen hinweggesetzt.” (Opfermann Nationalsozialismus, S. 13). Weiteres zur Biographie Günther dürfte den bei Opfermann Nationalsozialismus S. 148-149 und S. 160-162 aufgeführten Presseartikeln zu entnehmen sein. Auf den Artikel von Karl Ernst Riedesel: Eine Endlösung der Zigeunerfrage: Maßnahmen, Planungen und Forderungen des Berleburger Bürgermeisters Dr. G. aus dem Jahr 1937, in: Wittgenstein 72 (1984), H. 2, S. 52-62 sei an dieser Stelle ebenfalls nur verwiesen.

[15] Opfermann, Ulrich Friedrich: The registration of Gypsies in National Socialism: Responsibility in a German region [Berleburg, Morsbach, Siegen], in: Romani Studies (continuing Journal of the Gypsy Lore Society), 5th Series, Vol. 11, No. 1 (2001), S. 35-36

[16] Engelbarth, H.: Die Schulzahnpflege im Kreise Wittgenstein unter Berücksichtigung der sozialen Verhältnisse, Diss., Münster 1935.

[17] Krämer Diss. S. 46-47

[18] Krämer Diss, S. 38-39

[19] Krämer Diss, Lebenslauf, Sterbebuch Berleburg Nr. 4/1947

[20] Universitätsarchiv Münster, Bestand 209, Karteikarten Robert Krämer, Opfermann, Nationalsozialismus, S. 236

[21] Opfermann, Nationalsozialismus, S. 236

[22] Sterbebuch Berleburg Nr. 4/1947

7 Gedanken zu „Vor 105 Jahren: Dr. med. dent. Robert Krämer (1907 – 1947).

  1. Zu Robert Krämer s. a. Eintrag im „Regionalen Personenlexikon zum Nationalsozialismus in den Altkreisen Siegen und Wittgenstein“, Aufruf: 24.7.2018
    Dort auch Link zur Homepage des Schützenvereins Berleburg (mit Bild Krämers auf der Seite „Schützenkönige„) sowie Hinweis auf die Karteikarte zu Robert Krämer im Bundesarchiv Berlin, Bestand 3.100 (NSDAP-Zentralkartei).
    Zu Karl Wilhem Jötten s. a. Seite „Karl Wilhelm Jötten“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 30. Dezember 2017, 08:28 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Karl_Wilhelm_J%C3%B6tten&oldid=172408952 (Abgerufen: 24. Juli 2018, 07:55 UTC)

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