Literaturhinweis: Stephan Scholz „Vertriebenendenkmäler. Topographie einer deutschen Erinnerungslandschaft“

ScholzVertriebenendenkmälerPaderborn 1. Aufl. 2015,
440 S., Festeinband
ISBN: 978-3-506-77264-0

„War die Erinnerung an Flucht und Vertreibung in der »alten« Bundesrepublik ein Tabu?
Keineswegs! Das zeigt die Untersuchung von über 1.500 Vertriebenendenkmälern und ihrer vielfältigen Funktionszusammenhänge. In der deutschen Denkmallandschaft hatte und hat die Erinnerung an Flucht und Vertreibung einen festen Platz. Zahlreiche Gedenkorte verschaffen ihr eine dauerhafte Präsenz im öffentlichen Raum. Stephan Scholz analysiert die räumliche Verteilung und zeitlichen Konjunkturen, die gewählten Standorte, Formen, Motive und Inschriften der deutschen Vertriebenendenkmäler. Im Zentrum stehen dabei ihre beabsichtigten und die tatsächlich realisierten Funktionen im Zusammenhang von Verlustbewältigung, Integration, Deutschlandpolitik und Geschichtskultur. Aus dem Panorama einer Denkmallandschaft kristallisiert sich die Struktur einer dezentralisierten deutschen Erinnerungskultur heraus, die eines zentralen Gedenkortes nicht bedurfte.“
Quelle: Verlagstext [dort auch Inhaltsverzeichnis und Leseprobe als PDF]
Homepage des Autors bei der Universität Oldenburg

Zur Diskussion vor Ort s. a. siwiarchiv v. 24.1.2014

3 Gedanken zu „Literaturhinweis: Stephan Scholz „Vertriebenendenkmäler. Topographie einer deutschen Erinnerungslandschaft“

  1. Die erinnerungskulturelle Perspektive für Vertriebenendenkmäler beschreibt Scholz mit deutlichem Bezug zur Siegener Diskussion (Link s. Eintrag) wie folgt (S. 373):
    “ …. Neben der bloßen Historisierung von Vertriebenendenkmälern besteht jedoch auch die Möglichkeit, sie als gültige symbolische Systeme gegenwärtiger historischer Selbstverständigung, aktueller Positionsbestimmung und prospektiver Zukunftsentwürfe zu begreifen. Das würde auf lokaler Ebene eine aktive Auseinandersetzung sowohl mit den existierenden Denkmälern und deren Entstehungs- und Nutzungsgeschichten als auch mit den heutigen Grundwerten und dem historischen Selbstverständnis der Gesellschaft nötig machen. Ein solcher Verständigungsprozess könnte darin münden, vorhandene Denkmäler nicht nur schriftlich zu kommentieren, sondern künstlerisch zu ergänzen oder umzugestalten. Vertriebenendenkmäler könnten so zu Ausgangspunkten der Reflexion über die spezifisch deutsche Verknüpfung von Täter- und Opfergeschichte und die darauf basierende besondere Erinnerungsgeschichte oder gar über die allgemeine Bedeutung von (erzwungener) Migration in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden.“

  2. Aus Anlass der spontanen Neubeschriftung des Ostvertriebenendenkmals im Kontext der seit einiger Zeit in Europa auftretenden Flüchtlingskarawanen vor allem aus dem europäischen und dem Nahen Osten sei einmal angemerkt, dass dieser kleine Akt einer begrenzten Regelverletzung doch jedenfalls zum Nachdenken anregte? Was ja doch immer das Beste ist, was sich von einem bemerkenswerten Ereignis sagen lässt. Ich habe daraufhin im Geschichtsbuch gestöbert.
    Vom sozialdemokratischern Regierungspräsidenten Fritz Fries aus Siegen zu den Ostflüchtlingen und Ostvertriebenen seiner Amtszeit:

    „Das Flüchtlingsproblem … ist eines der vordringlichsten unserer Tage. Mein Protesttelegramm gegen weitere Zuweisung mit Flüchtlingen hat schlagartig die Situation, in der wir stehen, beleuchtet. … Soweit die ortsansässige Bevölkerung helfen kann, muß sie zur Hilfe herangezogen werden, denn zu keiner Zeit hat das Wort von der Liebe zum Nächsten mehr Geltung gehabt als heute … einer trage des anderen Last.“
    Wenngleich – so bei anderer Gelegenheit – manches zu bedenken sei:
    „… wir sehen, daß unsere Mädels zu einem großen Teil nicht mehr wählerisch sind. … Die Hauptsache ist, daß sie ihrem Genuß leben können. So ist die Geschlechtskrankheit zu einer Volksseuche geworden. Ich kann Ihnen sagen, da, wo sie von Osten eingeschleppt ist, ist die Syphilis meistens in ein bis zwei Jahren tödlich, da sie viel gefährlicher ist als bei uns im Westen. … Wir bekommen jetzt die Leute aus den Balkanstaaten, aus Österrreich und der Tschechoslowakei, wir bekommen sie vornehmlich aus Polen und zu einem Teil aus der russischen Zone. Die Menschen sind besonders in der polnischen Zone von Haus und Hof vertrieben, sie kommen zerlumpt, zerissen, krank und siech ohne Hab und Gut an. Die kranken und siechen Körper sind für alle Epidemien empfänglich, und wir haben daher eine ganz besondere Vorsicht walten zu lassen.“ (Manfred Zabel, Die Heimatsprache der Begeisterung. Ausgewählte Reden und Schriften von Fritz Fries, Siegen 1990, S. 91, 104)

    Der nahe und weitere Osten demnach ein irgendwie schon auch so etwas wie ein Seuchengebiet! Von anderem einmal abgesehen (Kaninchenhaltung in der Badewanne, Unkenntnis mitteleuropäischer Sanitärinstallation usw.). Offenbar Annahmen von langer Dauer.

    Eine Schwierigkeit immerhin existierte damals offenbar noch nicht: dass die Praxis, weibliches Kopfhaar durch ein Tuch dem männlichen Blick zu entziehen, Aufsehen erregt hätte. Diese Erscheinung nahm ja damals sprunghaft zu! Auch von Aversionen, die fremdartige Bindetechniken beim tuchgewohnten Publikum ausgelöst hätten, hat man noch nichts gehört. Insofern lässt sich m. E. aus dem Ereignis über das reine Nachdenken hinaus auch ein bisschen was lernen.

    Dass unsere Grundordnung/der EU-Wertekanon durch die Denkmalsverfremder/-neugestalter verletzt worden wäre, wie laut Zeitung manche staatliche Stellen annehmen, kann ich noch nicht erkennen. In dieser Hinsicht dürfte m. E. eher an Steuerflüchtlinge (mit und ohne Kopftuch) zu denken sein und ein entsprechender Aufklärungs- und Handlungsbedarf bestehen?

    Dr. Ulrich F. Opfermann

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