Aus den Quellen lernen

Archive sind ein wichtiger Lernort für die Geschichte des Erzbistums Paderborn. Ein Beitrag zum Themenspecial „Kirche und Lernen“
Quellen am Paderborner Dom – bei diesen Worten dürften die meisten Menschen an die Paderquellen rund um die Bischofskirche denken. Doch es gibt in unmittelbarer Nähe auch noch Quellen ganz anderer Art: historische Dokumente aus über 1000 Jahren. Sie lagern im Erzbistumsarchiv und inspirieren Geschichtswissenschaft, Heimatkunde oder Ahnenforschung.

Michael Streit in einem der Magazine des Erzbistumsarchiv, in dem zahlreiche Schätze lagern.

„Vermutlich denken die meisten Menschen, dass unsere Quellen im Gegensatz zu den Paderquellen staubtrocken sind“, sagt Michael Streit, der das Erzbistumsarchiv derzeit kommissarisch leitet, mit einen Augenzwinkern. „Dabei kann man bei uns zahlreiche Schätze finden, die spannende Einblicke geben. Der materielle Wert ist nicht das entscheidende bei diesen Schätzen – auf den ideellen Wert kommt es an.“

Dokumente mit hohem Erkenntniswert

Ein gutes Beispiel für einen solchen Schatz ist das Tagebuch des Neheimer Priesters Franz Stock (1904 – 1948), dessen Seligsprechungsverfahren gerade im Gange ist: „Darin schreibt er über seine Tätigkeit als Seelsorger für zum Tode verurteilte Gefangene in Gefängnissen der Wehrmacht“, erläutert Streit. „Äußerlich ist das Tagebuch eine unscheinbare Kladde, aber inhaltlich ist sein Wert gar nicht zu ermessen.“

Ein anderes Dokument mit hohem Erkenntniswert ist der Bericht über eine Visitationsreise von Fürstbischof Dietrich Adolf von der Recke (gest. 1661) nach dem Ende des 30jährigen Kriegs. Michael Streit: „Durch den Bericht bekommen wir einen ausgezeichneten Einblick in die Situation, in der sich das Bistum damals befunden hat. Man kann nachlesen, wie groß die Zerstörungen waren und wie die wirtschaftliche Situation der Gemeinden damals war.“

Streit nennt außerdem ein Schreiben von Kapitularvikar Augustinus Baumann. Er leitete das Erzbistum während der Sedisvakanz nach dem Tode Erzbischof Caspar Kleins im Jahr 1941: „In diesem Brief an den Landeshauptmann in Münster protestierte er gegen die Euthanasiemaßnahmen der Nationalsozialisten.“

Großer Nutzen für historische Forschung

Aufgrund solcher Dokumente werde das Erzbistumsarchiv für die historische Forschung gern genutzt, sagt Michael Streit, der seit über 25 Jahren im Archiv arbeitet und schon selbst einiges an Bistumsgeschichte miterlebt hat. „Die vier Bände der Bistumsgeschichte von Karl Hengst und Hans-Jürgen Brandt hätten ohne das Erzbistumsarchiv nicht entstehen können.“

Aktuell bestehe gerade eine große Nachfrage nach dem Nachlass von Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger: „Aufgrund des laufenden Forschungsprojektes, das u. a. die Haltung Erzbischof Jaegers zum Nationalsozialismus untersucht, nehmen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler regelmäßig Einblick. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Fachtagungen stattfinden.“ Auch Heimatkundler auf der Suche nach Informationen über ihren Heimatort seien häufig Gast im Archiv.

Eine Million Kirchebuchseiten im Netz – und das kostenlos

Doch die meisten Menschen, die sich ans Erzbistumsarchiv wenden, sind nicht in erster Linie an Kirchengeschichte und Heimatkunde interessiert. „Die größte Gruppe unserer ‚Kundschaft‘ sind Ahnenforscherinnen und -forscher“, erklärt Michael Streit. „In Preußen hat man erst zum 1. Oktober 1874 Standesämter eingeführt. Wenn man in der Zeit davor seinen Stammbaum erforschen will, ist man auf Kirchenbücher angewiesen. Und die findet man bei uns.“ Die Notwendigkeit, vor Ort im Erzbistumsarchiv in die Kirchenbücher zu blicken, ist inzwischen übrigens hinfällig: Die Kirchenbücher werden digitalisiert, so dass Online-Recherche möglich ist. „Über eine Million Seiten aus den Kirchenbüchern stehen inzwischen im Netz zur Verfügung – und zwar kostenlos“, stellt Streit fest. „Gerade in Corona-Zeiten war und ist das eine große Erleichterung.“

Auch Pfarrarchive sind wichtige Lernorte

Das Erzbistumsarchiv im Generalvikariat ist übrigens nicht das einzige Archiv im Erzbistum Paderborn. Auch die Pfarreien vor Ort haben eigene Archive. „Wie gut diese gepflegt und in Stand gehalten werden, ist sehr unterschiedlich und hängt davon ab, ob es Personen mit Interesse an Archiv-Arbeit gibt“, sagt Streit. „Wir haben in den vergangenen Jahren alle Pfarrarchive besucht und, wenn notwendig, Hilfe angeboten. Wir arbeiten dabei auch mit Drittfirmen zusammen, damit Pfarreien ihre Archive sichern, ordnen und erschließen können.“

Michael Streit ist überzeugt davon, dass auch in den Pfarrarchiven viele noch unentdeckte Schätze schlummern. „Diese Archive sind auch wichtig, um nachzuvollziehen, wie Kirche sich entwickelt und verändert“, meint er. Viele Vereine, die sich Ende des 19. Jahrhunderts gründeten, gebe es zum Beispiel heute nicht mehr. Auch könne es sein, dass es manche Gruppierungen, die heute existierten, in 30 oder 40 Jahren auch nicht mehr gebe. „Da ist es für spätere Generationen doch wichtig, dass man diese Veränderung dokumentiert. Das gleiche gilt für Brauchtum und Volksfrömmigkeit. Auch da brechen sehr viele Formen weg oder sind schon weggebrochen. Ein Archiv bietet die Möglichkeit, dass dieses Brauchtum trotzdem nicht verloren geht – und dass es mit Leben gefüllt wird.“
Quelle, Erzbistum Paderborn, Aktuelles, 19.3.2021