Spurensuche: Euthanasie-Opfer im Kreisgebiet

Stefan Kummer will Opfern der NS-„Euthanasie“ ein Gesicht geben

An die hundert Menschen aus Siegen und Wittgenstein wurden im Zuge des nationalsozialistischen Krankenmordes umgebracht. Stefan Kummer folgte in Archiven den Menschen, die mutmaßlich während des Zweiten Weltkrieges zu Opfern der NS-„Euthanasie“ wurden. In seiner Magisterarbeit befasst sich der Münsteraner Student mit den Schicksalen dieser Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung oder Krankheit als „lebensunwert“ eingestuft wurden.

„Die Lebensgeschichten von etwa 50 Personen könnten rekonstruiert werden“, meint Kummer. Das Problem sei neben dem Datenschutz die Quellenlage. Mehr als die Hälfte der Patientenakten sind nicht überliefert.

Gerade aus Hadamar, der damals für Siegen-Wittgenstein zuständigen Tötungsanstalt, befinden sich nur wenige Akten im Bundesarchiv in Berlin.  Allein in Hadamar wurden in der sogenannten „Aktion T4“ bis zum verfügten „Euthanasie-Stopp“ im August 1941 über 10.000 Patienten vergast.

Von 1942 bis Kriegsende wurden die Patienten nicht mehr durch Gas, sondern durch überdosierte Medikamente, gezielte Mangelernährung und unterlassene medizinische Versorgung getötet. Gerade für Todesfälle, die in diesen Zeitraum fallen, lasse sich die vorsätzliche Tötung schwer nachweisen, so Kummer. Dafür sei die Quellenlage für diesen Zeitraum besser, da die Tötungen nicht zentral von Berlin aus koordiniert wurden und die Akten daher in den Anstalten verblieben, wo sie oftmals bis heute vollständig erhalten sind.

So ist es auch bei Lina Althaus. Die 1910 geborene Weidenauerin wurde von der Provinzial-Heilanstalt Warstein nach Hadamar verlegt. Dort verstarb sie laut Akte am 6. August 1943 an einem „epileptischen Krampfanfall“. Die Todesursache war in der Regel falsch angegeben, um Angehörige und Behörden zu täuschen. „Dass Lina Althaus ermordet wurde, ist anzunehmen“, so Kummer.

Weniger eindeutig ist der Tod des Siegener Juden Richard Stern. Seine Brüder Albert und Siegfried wurden aufgrund ihres jüdischen Glaubens von Warstein aus über Wunstorf nach Brandenburg an der Havel verlegt und dort in der Gaskammer ermordet. Richard Stern starb wenige Monate zuvor angeblich an Krebs eines natürlichen Todes.

„Ich zähle ihn durchaus mit zu den Opfern“, sagt Stefan Kummer. Zum einen sei zu vermuten, dass einem jüdischen Patienten damals nicht die beste medizinische Versorgung zuteil wurde. Der rasche Krankheitsverlauf untermauere diese Annahme. Zum anderen wäre Richard Stern einige Monate später mit Gewissheit gemeinsam mit seinen Brüdern nach Brandenburg deportiert worden, sein Name steht auf den vorher erstellten Listen. Über 70 Jahre nach Richard Sterns Tod sei Kummer der erste gewesen, der Sterns Patientenakte aus Warstein habe einsehen wollen. Gleiches gilt für fast alle Akten.

Die Idee zur Arbeit, die sich mit den Einzelschicksalen der Opfer beschäftigt, hatte der Münsteraner Student gemeinsam mit dem Leiter des Aktiven Museums Südwestfalen (AMS), Klaus Dietermann, und dem Kreisarchivar Thomas Wolf. Im Herbst wird es eine Ausstellung über die Opfer des NS-Krankenmordes im AMS geben, wo Kummer Vorstandsmitglied ist. Die Ausstellung wird gefördert vom Bundesprogramm „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

„Die Ausstellung soll ein erster Schritt sein, die in der Erinnerungs- und Gedenkkultur bisher vernachlässigte NS-„Euthanasie“ zu thematisieren und den regionalen Opfern wieder ein Gesicht zu geben“, so Kummer. Gleichzeitig soll in Kooperation mit dem AWO-Kreisverband Siegen-Wittgenstein/Olpe der Bezug zum Umgang mit kranken, beeinträchtigten und behinderten Mitmenschen heute hergestellt werden. Kummer erhofft sich von der Ausstellung einen toleranteren Umgang mit Menschen mit Behinderungen.

2011 wurde für Lina Althaus ein Stolperstein verlegt, gestiftet von Traute Fries. Diese Stolpersteinlegung für ein Opfer der NS-„Euthanasie“ ist bisher einmalig in der Region. Kummer hofft, dass weitere Stolpersteine verlegt werden. Personen, die einen Stolperstein für ein „Euthanasie“-Opfer stiften möchten, oder meinen etwas zur Lebensgeschichte einer Person, vielleicht sogar eines Vorfahren, beitragen zu können, werden gebeten, sich bei Stefan Kummer zu melden: StefanKummer@gmail.com

Kontakt:

Bei weiteren Fragen oder Anregungen melden Sie sich bitte bei Anna Hinkel, für die Ausstellung zuständige Pressesprecherin.

Anna Hinkel
Email: AnnaHinkel@aol.de
Tel.: 0271 38798713

3 Gedanken zu „Spurensuche: Euthanasie-Opfer im Kreisgebiet

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