Sigurd Hofacker: Geschichte der Drogenberatungsstelle des Kreises Siegen-(Wittgenstein)

Ein Bericht aus meiner Erinnerung zur Entstehung des Drogenberatungsstelle des Kreises.

Etwa ab dem Jahr 1958 stellte das Land NRW Mittel zur Verfügung, um die kommunale Jugendämter anzuregen, Jugendschutzfachkräfte einzustellen.
Der damalige Kreis Siegen sah für das Jahr 1963 erstmals eine solche Stelle vor und stellte mich zum 15.04.1963 als Jugendschutzsachbearbeiter ein. Der öffentliche Träger der Jugendhilfe hat sich insbesondere im Rahmen des erzieherischen ‚Jugendschutzes den aktuellen Gefährdungen der Jugend gewidmet; so auch den Gefährdungen durch illegale Drogen.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 und § 8 Jugendwohlfahrtsgesetz war es Aufgabe des Jugendamtes, Freizeithilfen und Beratung anzubieten.
Zu einem Schwerpunkt meiner Arbeit entwickelte sich u. a. seit etwa 1966 die Bekämpfung des Rauschmittelmissbrauchs bei Jugendlichen. So kam ich immer öfter mit jugendlichern Fixern in Kontakt, insbesondere im Rahmen von Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das damalige Opiumgesetz. In einem solchen Verfahren traf ich auf ein 16-jähriges Mädchen (Marion F.), die mir ihre “Drogengeschichte” erzählte und erwähnte, dass sie auf dem Wege zum “Ausstieg” wäre, da sie seit längerer Zeit von einem Fachmann betreut werde, den sie unter dem Namen “Onkel” kenne. Der richtige Name sei ihr nicht bekannt. Nach vielen Gesprächen mit ihr, konnte ich sie bewegen, ein Treffen zwischen “Onkel” und mir zu organisieren.
Zwei Tage vor dem genannten Treffen bekam ich eine Anfrage von der Kripo Siegen (Kriminalbeamter Siegfried Brandenburger), ob mir ein Betreuer in der Drogenszene mit dem Namen “Onkel” bekannt sei. Gegen diesen läge eine Anzeige einer Familie F. wegen Kindesentführung ihrer Tochter Marion vor.
Nunmehr nahm ich Kontakt zu Marion auf, die unter diesen Umständen zustimmte, dass an dem Termin “Onkel” im Cafe Harr in Siegen auch der Kollege von der Kripo teilnimmt.
Marion erzählte mir, dass sie einige Tage vorher von zu Hause ausgerissen sei, mit dem Bemerken, ich gehe zu “Onkel”. Dieser hat sie dann für zwei Tage in seiner Familie aufgenommen, ohne das Jugendamt oder die Eltern zu informieren. Er konnte Marion jedoch bewegen, wieder nach Hause zu gehen.
Nun lernten wir “Onkel” kennen, bei dem es sich um den Prediger der Deutschen Zeltmission Winfried G. Boockmeyer handelte. Herr Boockmeyer erzählte uns von seinen Zelteinsätzen, bei denen er auch Marion kennenlernte. Diese habe sich ihm anvertraut und ihn fortan “Onkel” genannt.
In den folgenden Monaten führte ich lange und intensive Gespräche mit Herrn Boockmeyer, die in der Überlegung endeten, mit der Leitung der Deutschen Zeltmission (Sitz in Geisweid) Kontakt aufzunehmen, mit dem Ziel, Herrn Boockmeyer von seiner Arbeit als Prediger für die Betreuung von Drogenabhängigen freizustellen.
Nach weiteren intensiven Gesprächen stimmte die Deutsche Zeltmission unter folgenden Bedingungen zu:
1) Das Jugendamt des Kreises Siegen übernimmt die Fachaufsicht.
2) Der Kreis Siegen stellt Beratungsräume zur Verfügung.
3) Der Kreis Siegen stellt eine Verwaltungskraft zur Verfügung.
Dieses Vorhaben besprach ich mit meiner Amtsleiterin Frau Bruch und dem Dezernenten Herrn Behnsen.
Nach intensiven Beratungen im Jugendwohlfahrtsausschuss wurde einstimmig beschlossen, unter dem vorgenannten Vorgehen eine Beratungsstelle einzurichten.
Da Suchtberatung sinnvollerweise nicht in Verwaltungsgebäuden geschehen kann, suchten wir nach geeigneten anderen Möglichkeiten. So konnten wir in Geisweid in einem leerstehenden, ehemaligen Friseurgeschäft zweieinhalb Räume anmieten.. Diese Räume wurden von Herrn Boockmeyer und mir renoviert. Es musste u. a. eine Zwischentüre eingesetzt und Durchreichen in einer Wand zugemauert werden.. So konnten wir in recht bescheidenen Verhältnissen unsere Arbeit aufnehmen.
Diese erste Beratungsstelle für Abhängige von illegalen Drogen im gesamten Bezirk des Landesjugendamtes Westfalen-Lippe sprach sich in der Drogenszene sehr schnell herum, so dass wir uns über Klientenzahlen nicht zu beklagen hatten.
Ratsuchende Eltern, Lehrer und Jugendverbände nahmen Kontakt zu uns auf. Aus diesen Erfahrungen heraus entstanden die ersten Überlegungen zur Organisation einer größeren Informationsveranstaltung für Lehrer, Erzieher, Krankenkassen, Ärzte, Polizei und Fachkräfte der Jugendhilfe. So veranstalteten wir vom 23.02. – 26.02.1971 die erste Arbeitstagung “Jugend und Rauschmittel” mit über 100 Teilnehmer in den Räumen der Siegerlandhalle. Namhafte nationale und internationale Referenten sagten zu:
– Prof. Dr. Seiß, Universität Kiel
– Dr. Schönhöfer, Universität Bonn
– Dr. Kleiner, Bonhoeffer Krankenhaus, Berlin
– Dr. Franke, Jugendministerium Bonn
– Dipl. Psyschologe Weber, Frankfurt
– Dr. Gebhardt, Frankfurt
– Pastor Foltz, Texas
– Dr.. Gemmer, Bundeskriminalamt
Diese Tagung in diesem Umfang und dieser Qualität war wegweisend für das ganze Land NRW. Es wurde berichtet in der regionalen und überregionalen Presse, in ARD und ZDF sowie ausführlich im WDR-Fernsehen. Verschiedene Rundfunkanastalten brachten Beiträge.
In dem Vorwort zu dem Tagungsbericht schrieb der damalige Vorsitzende des Jugendwohlfahrtsausschuss Hermann Vomhof und der Dezernent des Jugendamtes Volker Behnsen:
“Das Problem des Rauschmittelgebrauchs bei jungen Menschen hat in letzter Zeit in wachsendem Maße die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen.
Während 1965 im Bundesgebiet einschließlich West-Berlin bei 1003 Rauschgiftdelikten 42 Täter unter 21 Jahren ermittelt wurden, waren es 1968 bei 1891 Delikten 687 Jugendliche.
Auch im Kreise Siegen ist ein besorgniserregendes Ansteigen von Rauschgiftdelikten festzustellen. Waren 1969 im Landgerichtsbezirk Siegen 7 sog. Rauschgiftverfahren anhängig, so stieg die Zahl im Jahre 1970 auf über 50 an.
Bedenkt man die große Dunkelziffer bei Vergehen gegen das Opiumgesetz, wird der Rauschmittelmißbrauch auch im Siegerland zum pädagogischen Problem. Alle in der Jugendarbeit tätigen, Lehrer, Jugendrichter und Staatsanwälte, Polizei, Eltern und alle verantwortungsbewussten Bürger sind aufgerufen, sich mit diesen Gefahren auseinander zusetzen und ihnen zu begegnen. Um einer Gefahr begegnen zu können, ist es notwendig, daß man ihren Umfang und ihre Eigenarten kennt …..”
Nach meiner Erinnerung teilte uns auch im Jahr 19711) die Deutsche Zeltmission mit, dass sie aus finanziellen Gründen Herrn Boockmeyer nicht mehr zur Verfügung stellen kann. Zunächst entschied der Kreis Siegen, der Deutschen Zeltmission die Kosten zu erstatten. Kurze Zeit später wurde Herr Boockmeyer als Kreisbediensteter übernommen.

1) Lt. Personalakte Boockmeyer 1974

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