“ …. Immer wieder werden Chatverläufe von Politikern untereinander oder mit Vertretern aus der Wirtschaft zum Politikum. Juristisch wirft dies die Frage auf, ob Regierungsvertreter Chatnachrichten überhaupt löschen dürfen. In vielen Fällen dürften dem bereits die §§ 5 ff. Bundesarchivgesetz (BArchG) [oder auch § 4 des Archivgesetzes NRW] entgegenstehen.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann dies darüber hinaus strafbar sein. In Betracht kommt hier insbesondere eine Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB). Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer beweiserhebliche Daten (§ 202a Abs. 2 StGB), über die er nicht oder nicht ausschließlich verfügen darf, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, löscht, unterdrückt, unbrauchbar macht oder verändert.
Dies kann für Regierungsvertreter dann relevant werden, wenn ein P[arlamentarischer Untersuchungs-Ausschuss] Daten per Beweisbeschluss anfordert. Denn einem PUA steht ein sogenanntes Beweisführungsrecht zu. Dieses Recht ist das zentrale tatbestandliche Kriterium der Urkundenunterdrückung und führt dazu, dass auch der ursprüngliche Urheber oder Eigentümer der betroffenen Daten Täter sein kann.
Mit diesem Beweisbeschluss sind die Daten auch spätestens als beweiserheblich iSd Vorschrift anzusehen. Hier wird teilweise ein eingeschränkter Datenbegriff mit Hinweis auf § 269 StGB vertreten. Diese Auffassung hat jedoch vorrangig den Datenverkehr in der Privatwirtschaft im Blick. Im Falle ministerialer oder behördenübergreifender Kommunikation resultiert die Beweiserheblichkeit vielmehr aus der Anforderung durch den PUA, da die Daten dann der Beweisführung im Rechtsverkehr gewidmet werden dürften. Es lässt sich insoweit eine Parallele zu den Grundsätzen der Zufallsurkunde ziehen. ….
Der subjektive Tatbestand des § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB umfasst das Löschen der Daten in Kenntnis ihrer Eigenschaft als Beweismittel. Hinzukommen muss die Absicht, einem anderen einen Nachteil zuzufügen, indem die Nutzung der Daten als mögliches Beweismittel vereitelt wird. …..“
Quelle: Urkundenunterdrückung in Messengerdiensten: . In: Legal Tribune Online, 16.06.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57425 (abgerufen am: 17.06.2025 )
s. a. auch Folgendes zum § 274:
– Klaus Graf (2. Dezember 2012). Jugendamtsmitarbeiterin wegen Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch angeklagt. Archivalia. Abgerufen am 26. Juni 2025 von https://doi.org/10.58079/bky8
– wolfthomas (25. Juni 2013). Anzeigensache gegen Fromm u. a. wegen Verwahrungsbruch u.a. Archivalia. Abgerufen am 26. Juni 2025 von https://doi.org/10.58079/bjwe
– Klaus Graf (30. September 2013). Zitronenfalter. Archivalia. Abgerufen am 25. Juni 2025 von https://doi.org/10.58079/bjhh
– “ …. Einen herausragenden Beitrag schrieb Herbert Günther: Archive und Verwaltung oder: Über die Grenzen des Archivrechts (S. 195-242). Die Archive können nicht darauf vertrauen, “dass die anbietungspflichtigen Stellen ihrer Aktenführungs-, Anbietungs- und Übergabeverantwortung ohne weiteres gerecht werden” (S. 209). Es geht um ordnungsgemäße Aktenführung (Urteile dazu: S. 216 Anm. 54), aber auch um die rechtswidrige und ärgerliche Übergabe amtlicher Unterlagen von Regierungsmitgliedern an nicht-zuständige, insbesondere Partei-Archive. Mit Ernüchterung liest man, dass Günther bei Aktenvernichtungen der Verwaltung die Anwendbarkeit der Verwahrungsbruch-Paragraphs verneint und auch Sachbeschädigung oder Urkundenunterdrückung als mögliche Tatbestände ausschließt. Das Strafrecht kommt den Archiven nach Ansicht Günthers nicht zu Hilfe! Wenn dem so ist, dann muss de lege ferenda etwas geändert werden. ….“
aus: Klaus Graf (19. August 2014). Festschrift für Rainer Polley. Archivalia. Abgerufen am 25. Juni 2025 von https://doi.org/10.58079/bhg0