Vortrag „Sankt Nikolaus und die Städte Europas“

ein Schutzpatron der Kaufleute und der frühen Handelsstädte

Ratssaal des Rathauses, Markt 13, Hilchenbach, 23.04.13, 19.30 Uhr

Vor Eintritt in die Tagesordnung des Jahreshauptversammlung des Hilchenbacher Geschichtsvereins hält Herr Dr. Erwin Isenberg, Hilchenbach-Allenbach, einen Vortrag über „Sankt Nikolaus und die Städte Europas“. Grundlage ist ein Zeitungstext von Herrn Professor Dr. Karlheinz Blaschke aus Moritzburg-Friedewald.
Die kultische Verehrung des Heiligen Nikolaus bildete die Klammer um einen Bevölkerungsteil, der wie die Handelsleute im 12. Jahrhundert als wirtschaftliche Elite zu einem internationalen Berufsstand aufwuchs.
Die Kirchengeschichte befasst sich u. a. auch mit den Patrozinien der Kirchen, also mit den Weihetiteln, unter denen die Gotteshäuser erbaut wurden. Neben den Petri-, den Johannis- und den Jakobskirchen, den Marien-, den Katharinen- und Elisabethkirchen stehen viele andere. In der Tradition bspw. des frühen Mainzer Erzbistums waren die Pfarrkirchen überwiegend St.-Martini-Kirchen, wie auch bei uns die ersten Pfarrkirchen im Siegerland, ich denke an St. Martini in Siegen und St. Martini in Netphen.
Jedes Patrozinium widmet die Kirche dem besonderen Schutz eines oder einer Heiligen und verspricht dem gläubigen Christen dadurch eine gnädige Zuwendung. In unserer Zeit mag man darin bestenfalls einen psychologischen Effekt sehen, für den mittelalterlichen Menschen aber stand dahinter eine verlässliche Zusage, die ihm auch in seinem diesseitigen Leben Halt gab.
Wenn nun vor allem die Fernhändler des 12. Jahrhunderts ihre Kirchen in den neu angelegten Kaufmannssiedlungen dem hl. Nikolaus widmeten, so taten sie das im Vertrauen auf seine Hilfe in Nöten und auf seine Fürsprache vor Gott. Der soziale Status und politische Rang der handelnden Berufsgruppen und ihre bürgerlichen Stiftungen, die in die Nikolaikirchen sowie die Angliederung ihrer Bruderschaften und Hospitäler einflossen, haben dazu geführt, dass diese Kirchen selbst in den Ländern der Reformation den Heiligentitulus beibehielten.
Hinter jeder Nikolaikirche stand einmal eine Gemeinde in doppelter Gestalt, nämlich als gottesdienstliche Gemeinschaft und als politische Ortsgemeinde. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Nikolaikirchen anfangs außerhalb der parochialen Kirchenorganisation standen und als Personalgemeinden eingerichtet waren. Das wäre als ein Erbstück aus der Zeit der Fahrmännergemeinschaften zu deuten, als die beweglichen Fernhändler, die mercatores frequentantes, ihre Geistlichen mit sich führten, die dann an ihren jeweiligen Aufenthaltsorten ihre geistliche Wirkung entfalteten.
Auch in Siegen war die Nikolaikirche die zweite Kirche nach der älteren St.-Martini-Kirche, die auf das 11. Jahrhundert datiert wird. Für St. Nikolai werden erstmals in einer Urkunde vom 9. Oktober 1317 dort amtende Priester genannt. Vermutlich dürfte aber zu diesem Zeitpunkt der romanische, merkwürdigerweise hexagonal gestaltete Hallenbau schon hundert Jahre bestanden haben. Diese nördlich der Alpen in der Tat einzigartige Bauform wird auf die Hanglage des Grundstück zurückgeführt, die ein Gebäude in lateinischer Kreuzform, also mit weiter in die Länge gestreckter Grundfläche kaum zugelassen hätte.
In den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens wurde die Siegener Nikolaikirche als zusätzliche Kirche zur St.-Martini-Pfarrkirche genutzt. Die eine oben am Berg und die andere auf dem unteren Siegsporn gelegen.
Für den siegen-nassauischen Adel, zunächst nur im nahen oberen Schloss angesiedelt, war St. Nikolai eine Zeitlang Taufkirche. Eine uralte, allgemeine Taufkirche des Siegerlandes, vermutlich noch älter als selbst die St.-Martini-Kirche, war die Johanniskirche. Derlei Baptisterien waren vorwiegend und sinnigerweise dem Patronat Johannes Baptista, also Johannes dem Täufer unterstellt. Nach der Befestigung der Stadt Siegen 1224 lag diese alte, am Fuß des Berges gelegene Kapelle extra muros, also außerhalb der Stadtmauern. Nachdem sie aus strategischen Gründen, und zwar zur Verhinderung der Verschanzung feindlicher Truppen 1473 aufgegeben und abgerissen worden war, ließ Graf Johann IV. an ihrer Stelle in dem neu errichteten Minoritenkloster eine Kirche errichten, die dieses Johannes-Patrozinium übernahm. Nach dem großen Siegener Stadtbrand ließ die reformierte nassauische Linie anstelle der abgebrannten Klostergebäudes das Untere Schloss errichten.
Jedenfalls ist die Siegener Nikolai-Kirche, bezeichnenderweise als Kaufmannskirche in der Nähe des Marktplatzes und des städtischen Kaufhauses im damaligen Rathaus gelegen, erst nach diesen beiden Kirchen gebaut worden und war zunächst ohne Pfarrfunktion.

Eine allgemeine Beobachtung betrifft das Verbreitungsgebiet der Nikolaikirchen mit ihrer besonderen topographischen Lage an Flussübergängen oder in Hafenorten; stets aber an den Brennpunkten des Fernverkehrs.
Ich wüsste noch nicht, wie man in diesem Zusammenhang die unstrittige Existenz einer St.-Nikolai-Kirche im Hilchenbacher Ortsteil Müsen bewerten würde. Dort bestand eine Nikolaus-Kapelle, die seit dem 13. Jahrhundert als Kapelle bezeugt ist.
Parochial waren die Müsener bis 1627 der St.-Laurentius-Pfarrei in Ferndorf zugeordnet. St. Nikolai zu Müsen war zunächst, also vorreformatorisch, keinesfalls eine Pfarrkirche.
Gegen den 1659/60 errichteten, zum kleinen Kapellenbau überdimensioniert erscheinenden Turm, wurde in südlicher Richtung nach Abriss der alten Saalkirche 1775 -78 ein Neubau errichtet. Nach dem Dorfbrand am 20. Juni 1893 wurde die vorige Kirche in ihren alten Dimensionen, wie wir sie auch heute sehen, wieder hergestellt und am 15. April 1894 feierlich geweiht.

Laut Lothar Irles Zusammenstellung „Heilige in Verehrung und Volkstum des Siegerlandes“ (Siegen 1969, S. 106-107) finden sich weitere Nikolaus-Patrozinien in der Kirche in Netphen-Salchendorf, sowie in vorreformatorischer Zeit die Kapelle in Freudenberg-Büschergrund den Namen des Heiligen. Ferner verwies der Klaosborn (Nikolausbrunnen) in Siegen auf Nikolaus.
In Netphen-Salchendorf ist ein Nikolauslied überliefert, das am Patronatstag gesungen wurde (s. dazu Irle, 79-80). Schließlich ist eine Lindenholzfigur aus dem 16. Jahrhundert in der Salchendorfer Nikolauskapelle bekannt (Irle, S. 88. Sie zeigt den Heiligen in einem Fenster. Laut Alexander Wollschläger stammt sie ursprünglich aus der St.-Cäcilien-Kirche in Netphen-Irmgarteichen.

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