Die Geschichte von Josef Stock

Veröffentlichung erfolgt  mit freundlicher Erlaubnis von Torsten Thomas, VVN BdA Siegerland-Wittgenstein

Im Januar 2018 jährt sich zum 85. Mal die Machtübergabe an die NSDAP und damit der Beginn einer nie dagewesenen Gewaltherrschaft. Diese Gewalt traf zuerst die politischen Gegner der Nazis aus den Parteien der ArbeiterInnenbewegung. Wir wissen alle aus den Geschichtsbüchern wie diese Verfolgung aussah, willkürliche Verfolgung und brutalste Misshandlungen bis hin zum Mord. Aus unserer Region fehlte bisher eine authentische Beschreibung dieser Ereignisse. Die Geschichte des Josef Stock schließt diese Lücke mit einem von ihm geschrieben Bericht seiner eigenen Verfolgung.

Josef Stock wurde am 8.9.1885 in einer katholischen Familie in Siegen geboren. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete er als Gruben – und Hüttenarbeiter. Im 1. Weltkrieg war er Soldat. Mindestens ab 1930 war er Mitglied der KPD und Leiter der Parteigruppe Siegen-Ost. 1933 holten die Nazis ihn aus seiner Wohnung und prügelten ihn zum Krüppel, so das er 1937 Vollinvalide wurde.

Ende der 30er oder Anfang der 40er Jahre zieht er mit der Familie seines Neffen Fritz Stock nach Freudenberg-Hohenhain. Fritz Stock stirbt 1944 an der Ostfront. Nach dem Krieg baut Josef Stock in Hohenhain mit der Witwe seines Neffen ein Wohnhaus und lebte mit in der Familie.

In Hohenhain ist er älteren Bürgern noch heute als „Stocks Onkel“ bekannt. Er hat vielen Menschen bei Versorgungsanträgen und dem ausfüllen sonstiger Formulare geholfen. Ob er nach dem Krieg wieder Mitglied der KPD war ist nicht bekannt.

Er starb in Hohenhain am 22.10.1962.

Hier der Bericht seiner Verfolgung:

Rechtschreibung, Zeichensetzung und Zeilenumbruch sind wie im Original belassen.

 

                                                                               Siegen i. W. den 30.3.48

 

An die

Betreuungstelle für ehem. pol. Verfolgte

Siegen

 

Als Pol. Leiter der KPD Ortsgruppe Siegen-Ost war ich ein von
den Nazis bestgehasster Mann. Daraus entstanden für mich sobald sie an die
Macht kamen, folgende Konsequenzen.
Meine erste Verhaftung durch die S.A. erfolgte 1933 angeblich
zwecks Verhör. Ich wurde in meinem elterlichen Hause, wo sich meine Wohnung
befand, in Siegen, Wallgrabenstr. 4 durch 2 bewaffnete S.A. Leute abgeholt,
nach der Sandstraße in das Haus der Arbeit abgeführt, dort von den Nazi-
wachen in Empfang genommen. Hier sah ich, das eine Menge ungefähr 10 mir
bekannte Leute schon in den Kellern verhaftet waren. Einer nach dem anderen
wurde dann auf die übliche Nazi-Weise vernommen, d.h. nicht nur mit aus der
Luft gegriffenen Fragen belästigt, sondern gleich darauf hingewiesen, wer
nicht das gewünschte gesteht, kommt auf die Folterpritsche, die dort auf-
gestellt war. So sagte der mich vernehmende Nazi-Häuptling Odendahl. Falls
Sie das von uns gewünschte nicht aussagen wollen, bekommen Sie 1,2,3, bis
7 Lektionen auf der Folterpritsche, dann werden Sie ja sehen. Ich sagte
darauf zu den Sardisten, nicht eine oder mehrere Auspeitschungen würden mich
dazu bewegen, etwas unwahres zu sagen. Bei diesem Verhör waren ca. 30 Mann
bewaffnete S.A. u. S.S. zugegen, die mir dauernd ein Dutzend oder mehr
Gummiknüppel u. Ochsenziemer vor das Gesicht hielten. Der Sardist Odendahl
der mich vernahm rauchte ganz lässig eine Zigarette und sagte da ich nichts
aussagte sie wollen abstimmen. Ich musste mit dem Gesicht nach der Wand
gestellt zuhören, man wollte mich erschiessen. Aber dann sagte einer der
Leute der für mich Partei ergriff, die gemachten Anschuldigungen wären un-
wahr, er stehe dafür ein. Der Mann der für mich einstand wohnte in Siegen
Hessischestr. 1 und heisst soviel mir bewusst „Meyer“. Nach diesem Akt
wurde ich wieder in den Keller geführt. Kurz darauf kam der an der Sache
beteiligte S.A. Mann Rob. Hanses, in Siegen, Wolfstr. wohnhaft und liess
mich wieder in Freiheit. Die nächste Verhaftung erfolgte in der Nacht
vom 25. auf den 26. Juli 1933. Soviel in meiner Erinnerung: ich lag im Bett,
plötzlich flog die Haustür auf, ich hörte meinen Namen rufen, machte Licht
und sah die S.S. Leute wieder in Uniform u. bewaffnet. Ich fragte nach ihrem
Begehr, sie sagten anziehen und mitkommen. Zwischen S.S. Leuten wurde ich zur Anna – Helenenstr. in einem dem Pferdemetzger Weber, Siegen gehörenden Lieferwagen gebracht, der von dem Sohn des Pferdemetzgers Weber gesteuert wurde, er befand sich in Uniform. nachdem noch der Bergmann Arnold Reich-
mann, gleichfalls wie ich im Stadtteil Hain wohnend eingebracht war, wurden
wir fortgefahren über Frankfurterstr. St. Johannstr. Eisernerstr. Mein
erster Gedanke war die S.S. wird uns dort im Wald erschiessen wollen. Es

(Ende erste Seite)

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war ein Trugschluss von mir. Oben in der Eisernerstr. bog das Auto ab nach
dem Häusling zu stoppte und einige der uns im Wagen begleitenden S.S.
sprangen ab und ich hörte dort Klopfen an einem Haus, hörte den Namen Immel
rufe, hörte wie die Frau sagte ihr Mann sei nicht da, er wäre verreist.
Wütend kehrten die Leute zurück, stiegen wieder zu und fort ging die Fahrt
rückwärts zur Stadt. Bei dem Hotel Fürst Moritz angekommen, stiegen die Hälfte
der S.S. Leute aus und gingen hinein. nachdem die erste Hälfte getrungen, ging
die zweite an gleiche Stelle zum Trinken. Dann ging die Fahrt ins Braune Haus.
Dort angekommen, wurden wir in einen bewachten Raum geführt, hier waren noch
andere mir nicht alle bekannten Personen festgehalten. Dann wurde ich der
Bestie Odendahl vorgeführt. Dann wurde ich von Gerlach, Zimmermann, Schreiner,
Giebeler und von einem S.S. Mann Busch, Eisernerstr. die die Hemdsärmel auf-
gekrempelt hatten, mit Gummiknüppeln u. Ochsenziemer bewaffnet waren, in den
Keller des Hauses gebracht. Dort war der ganze Raum mit bewaffneten Hitler-
leuten angefüllt. Einige Fragen wurden an mich gerichtet, die alles undenkliche
enthielten, dann musste ich mich ausziehen, Jacke u. Weste wurden mir weg-
genommen. Eine Anzahl dieser Sardisten zerrten mich an Händen u. Füssen auf
die Folterpritsche, wo ich bis zur Bewusstlosigkeit mit Gummiknüppeln u. Ochsen-
ziemern geschlagen wurde. nach der dritten Tertortour wurde ich in einen
Nebenraum gestossen. Dort lag gleichfalls ein ganzer Haufen geschlagener,
wimmernder Menschen, nach einiger Zeit wurde ich wieder rausgeholt und noch
gleichartiger Tertortourn erleben zu müssen. Mein ganzer Körper war
über u. über geschwollen, schwarz durch die Schläge geworden, durchnässt
von Schweiss am ganzen Körper, zitternd musste ich mich wieder anziehen.
Ein paar dieser Verbrecher reichten mir noch Rock u, Weste. So wurde ich noch im
Hinausgehen ins Gesäss getreten. Die vor dem Gebäude postierenden, uniformier-
ten wollten mir zum Abschied vorläufig noch einen vor den Bauch und einen
in den Hintern treten. In dieser körperlichen Verfassung habe ich nun jahre-
lang als verfemter unter der in Deutschland geltenden Gesellschaftsordnung
leben müssen, nur von dem Gedanken beseelt, die Geburtsstunde einen neuen Rechts erleben zu können, was nun jetzt in Erfüllung gehen kann. Die Polizei
sah mit verschränkten Armen das herbeiholen der Deleguenten durch die S.S.
und S.A. zu und rührte keinen Finger gegen die Verbrechergilde. Den Weg vom
Braunen Haus den ich benutzte ging am sogenannten Lohgraben entlang, ich
traute mich nicht mehr über die Straße u. so schleppte ich mich auf diesem
Wege nach Hause. Den folgenden Morgen hat meine Schwägerin den Dr. Burgmann
in Siegen am Marburgertor wohnhaft nach mir bestellt. Dieser erschien nach-
mittags, fragte nach seinem Eintreten ob ich da unten gewesen sei. Ich erwider-
te ich wäre bei den Leuten die das neue Tierschutzgesetz erlassen hätten
gewesen. Fiebernd lag ich in einem durchnässten schwitzten Bett, die Rippen
schwarz gebrannt. Kein Mensch traute sich nach mir zu sehen, da das neben
anliegende Haus das Standartenbüro der Braunen Pest war. Der Arzt schrieb
(Ende zweite Seite)

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mir ein Rezept um dann nie wieder zu kommen. Nach einigen Tagen ging meine
Schwägerin zum selben Arzt um mir eine Arbeitsunfähigkeits-bescheinigung
zu holen, der alte Herr war nicht da, sondern sein Sohn vertrat ihn.
Er hat das Krankenbuch aufgeschlagen, hineingesehen und sagte merkwürdi-
gerweise hat mein Vater entgegen seiner Gewohnheit keine Krankheitsein-
tragung gemacht. Ich kann Ihnen somit kein Arbeitsunfähigkeitszeugnis aus-
stellen. Heute noch trage ich die Spuren dieser verruchten Nazi-Behand-
lung an meinem Körper. Ein durch diesen Akt mir zugezogenes Herzleiden
schwerster Art lässt mich keine Nacht auch nur einmal dieses Geschehen
vergessen. Ich habe durch diese bestialische Behandlung später invalidi-
sieren müssen, da die Ansicht der Ärzte vorherrschte, dass ich nie wieder
einen Grad von Arbeitsfähigkeit erlangen würde. Ich muss bemerken, dass
zwischen meiner ersten und zweiten Verhaftung mehrere Hausdurchsuchungen durch
die S.S. getätigt wurden. Eine von diesen leitete der S.S. Mann Leukel,
der von Beruf Eisenbahner war. Die dritte Verhaftung wurde in der Nacht
vom 21. auf den 22. August 1944 gegen ½ 5 Uhr morgens von einem Beamten
des Sicherheitsdienstes ausgeführt. Ich wurde bei der Stelle wo ich dienst-
verpflichtet war, von meiner Aufgabe weggeholt, der Beamte sagte, ich solle
einmal mitgehen. Ich fragte ihn, ob in meinem Revier etwas vorgekommen sei,
er sagte, kommen Sie. nachdem wir ein Stück Weges gegangen war, musste ich
mal mein Wasser abschlagen (pinkeln). Der Beamte sagte, wenn Sie stehen
bleiben mache ich von meiner Schusswaffe Gebrauch. Ich musste mit zur
Polizeiwache zum Rathaus, Siegen. Dort angekommen kam ich in den Aufent-
haltsraum wo die Polizeibeamten alle mit heruntergemachten Sturmriemen
sassen. Kurz darauf hörte ich im Flur wie ein Polizeibeamter sagte „Heil
Hitler“ Herr Hauptmann. Also war de Hauptmann Lingemann schon so früh auf
den Beinen. Es musste doch eine besondere Sache gestartet sein, dass sich
dieser Beamte morgens so früh auf das Rathaus bemühte. Einige Minuten später
wurde ich zur Wachstube rübergeführt, der Beamte rief Hände hoch und wurde
einer körperlichen Revidierung unterzogen. Man nahm mir alles, sogar den
Leibriemen ab. Ich wurde vernommen, dann brachte mich der Polizeibeamte
Heinr. Fahle in eine Zelle, die von Ungeziefer wimmelte, es stank dort zum
Erbrechen. Das Glosett war verstopft und lief über u. ähnliches. Einige
Ausländer hörte ich in der Nebenzelle sprechen. Es dauerte nicht lange,
dann kam noch eine Anzahl auch verhafteter, Bekannt und Unbekannte, dann folg-
te Verhör durch Gestapo. nachmittags etwa gegen ½ 5 Uhr wurde ich mit
anderen zum Landgerichtsgefängnis gebracht u. 10 Tage festgesetzt. Mit mir
in der Zelle war der frühere Stadtverordnete Willi Kollmann aus Siegen.
Am zweiten Tag wurden wir im Gefängnis vom Gerichtsarzt Kreisarzt
Dr. Althaus untersucht, der mich nicht mehr haft-u. lagerfähig schrieb. Kein
Wunder, nach diesen durch die braune Pest erlittenen Misshandlungen.

(Ende dritte Seite)

Blatt IV

Ich habe gehofft, dass es ein Akt der Gerechtigkeit wäre, dass die
Bestien, die der Nazi-Regierung ihre Befehle ausführten heute auch soviel
wie möglich zu ihrer Wiedergutmachung herangezogen und ihrer Bestrafung
zugeführt werden. Ich nehme an, dass die von mir gemachten Angaben von der
neuen Gesellschaftsordnung in Deutschland dazu beitragen würden, dass
das neue Deutschland ein neues, für alle Beteiligten gutes Recht ins Leben
ruft, dass die neue kommende Regierung auf dem Vertrauen des Volkes
beruht und die alten Schandtaten eine öffentliche Sühne und Rehabilitierung
der betroffenen Personen einschliesst. In diesem Schreiben sind nicht alle
Angriffe auf mein Leben sowie Bedrohungen der braunen Pest gegen mich ent-
halten.  

 

                                                  Joseph Stock

                                                         (handschriftlich)

 

(Ende vierte Seite)

 

Quelle: Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, Regierung Arnsberg Wiedergutmachung Nr. 26774

2 Gedanken zu „Die Geschichte von Josef Stock

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