„Siegen und Sprengungen gehören zusammen“

75 Jahre Sprengtechnische Lehrgänge in Siegen

Vor 75 Jahren, im März 1941, fanden die ersten sprengtechnischen Lehrgänge an der Bergschule in Siegen zur Ausbildung von Sprengmeistern für die Steine- und Erdenindustrie, für das Baugewerbe und für die Forstwirtschaft statt. Anlass dazu war das Anliegen der Industrie, vornehmlich der Kalkindustrie und der Natursteinindustrie, für ihre Rohstoffbetriebe, nach einem für sie zugeschnittenen Lehrplan, ausgebildete Spreng- und Bruchmeister zur Verfügung zu haben. Die zu vermittelnden Lerninhalte sollten in enger Beziehung zur Praxis stehen.
Von Anfang an sind alle Lehrgänge im engsten Einvernehmen mit der Staatlichen Gewerbeaufsicht (heute Bezirksregierung Arnsberg-Arbeitsschutz) durchgeführt worden, die auch die Lehrkräfte für die Unterweisung über die gesetzlichen Bestimmungen in der Sprengtechnik bereitstellt. Den Unterricht über die berufsgenossenschaftlichen Vorschriften erteilen seit 1941 Technische Aufsichtsbeamte der Bau-Berufsgenossenschaft. Die Prüfungen werden vor Vertretern der Bezirksregierung Arnsberg oder der Kreispolizeibehörde abgelegt.

Im Jahre 1950 wurden auf Veranlassung des Arbeitsministeriums des Landes NRW „Sprengtechnische Sonderlehrgänge für Gewerbeaufsichtsbeamte eingeführt, die ab 1963 für Gewerbeaufsichtsbeamte aller Bundesländer verbindlich wurden. Es folgte im Juli 1957 die Einführung von Lehrgängen für „Böllerschützen“. Ab 1965 wurde es erforderlich, „Sonderlehrgänge für Großbohrlochsprengungen“ einzuführen. 1969 wurden die „Sonderlehrgänge für Raketentechnik“ der zivilen Bereiche eingeführt. Seit Januar 1970 gibt es „Sonderlehrgänge für Airbagtechnik“ für die Automobilindustrie. Im Januar 1971 werden auf Veranlassung der Gewerbeaufsicht NRW die „Lehrgänge für Böllerschützen“ auf „Sportschützen“ (Vorder- und Wiederlader) ausgedehnt. Als Ersatz für die Lehrgänge „Raketentechnik“ und „Airbagtechnik“ werden auf Veranlassung der Gewerbeaufsicht NRW seit 1987 „ Grundlehrgänge für das Aufbewahren, Verwenden und die Beförderung von sprengkräftigen und pyrotechnischen Trennelementen“ angeboten.

Vor gut 45 Jahren, im Schuljahr 1970/71, übernahm der Kreis Siegen-Wittgenstein die Trägerschaft der Sprengtechnischen Lehrgänge. Bis zur Wiedervereinigung im Jahre 1991 waren sie die einzigen dieser Art in der damaligen Bundesrepublik. Aus organisatorischen Gründen wurden die Lehrgänge 2006 in das Technologiezentrum in Siegen-Geisweid verlagert.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Lehrgängen mit unterschiedlicher Dauer. Für die Durchführung der praktischen Übungen stellen Siegerländer Firmen Steinbrüche und Sprengplätze zur Verfügung. Das Sprengen von Bauwerksteilen wird von Fall zu Fall an zur Verfügung gestellten Objekten durchgeführt. Seit 1984 werden praktische Übungen und Prüfungen im Schotterwerk Scheda in Drolshagen durchgeführt.

Unter dem Stichwort“ Sprengstoffe“ erscheinen in alten Berichten der Gewerbeaufsicht folgende Notizen: „Anlässlich der vorgekommenen, zu einem großen Teil auf nicht genügender Beachtung der Unfallverhütungsvorschriften über Sprengarbeiten beruhenden Unfälle…empfiehlt das Gewerbeaufsichtsamt als Voraussetzung für die Prüfung von Bewerbern eine Mindestausbildungszeit von einem Jahr Praxis bei einem anerkannten, erfahrenen Sprengmeister sowie die Teilnahme an einem Sprenglehrgang, wie sie beispielsweise von der Bergschule Siegen durchgeführt werden, zu fordern.“
Wie begründet diese Forderung war, zeigt ein Beispiel aus den 50-er Jahren:
In einem Steinbruch verunglückte ein Sprengmeister bei Sprengarbeiten mit Schwarzpulver tödlich. Es sollte eine Steinmenge von etwa 5 m³ gelöst werden. Hierzu hatte der Sprengmeister ein senkrechtes Bohrloch von 2,5 m Tiefe angesetzt. Das Bohrloch wurde nach Aussage der Arbeiter mit etwa 5 kg Schwarzpulver gefüllt. Nach Anzünden der Sprengschnur hatte der Sprengmeister, wie im Betrieb vereinbart, noch gerufen „es brennt“. Bereits wenige Sekunden darauf ging die Ladung los, so dass der Sprengmeister keine Zeit mehr hatte, sich in Sicherheit zu bringen. Er wurde von Steinbrocken erdrückt. Der Sprengmeister hatte es unterlassen, den vorgeschriebenen Besatz nach Einfüllen des Schwarzpulvers aufzubringen. Es muss daher angenommen werden, dass entweder das brennende Zündschnurende sich gedreht und herausspritzende Funken die offene Ladung zur Explosion gebracht haben oder, dass das von ihm benutzte Zündholz, bzw. glimmende Reste davon, in das Bohrloch gefallen sind.

Ähnliche Fälle müssen Dr. Gerth, den Begründer der Lehrgänge bewogen haben, neben der im Untertage-Bergbau üblichen Ausbildung auch für den Umgang mit Sprengstoff im Übertagebetrieb Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen.

Heute werden 17 verschiedene Grund-, Sonder- und Wiederholungslehrgänge angeboten. Darunter sind zum Beispiel Lehrgänge für allgemeine Sprengarbeiten, Großbohlochsprengungen, sprengen von Bauwerken und Bauwerksteilen, Beförderung gefährlicher Güter, Abbrennen von Feuerwerken, Pyrotechnik in Theatern und Freilichtbühnen, Airbagtechnik (Trennelemente), Böllerschützen.
Die Lehrgangsteilnehmer kommen aus der Steine- und Erdenindustrie (Natursteinbrüche, Kalkindustrie, Zementindustrie und Hüttenindustrie), aus dem Bau- und Abbruchgewerbe, aus Spreng- und Bohrunternehmen, aus der chemischen Industrie, aus der Pyrotechnik, aus der Luft- und Raumfahrttechnik, der Kfz-Branche und von Speditionsunternehmen.
Weiterhin nehmen Angehörige der Bundeswehr im Rahmen des Berufsförderungsdienstes, Polizeibeamte, Gewerbeaufsichtsbeamte, Aufsichtsbeamte der Berufsgenossenschaften und Angehörige des Kampfmittelräumdienstes an den Lehrgängen teil. Die Sprengtechnischen Lehrgänge des Kreises Siegen-Wittgenstein sind über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt, so dass öfter ausländische Teilnehmer die Lehrgänge absolvieren. Bis heute wurden mehr als 25.000 Teilnehmer ausgebildet.

Eine Teilnahme an Lehrgängen ist streng geregelt und nur möglich, wenn eine Unbedenklichkeitsbescheinigung nach der 1. Verordnung zum Sprengstoffgesetz vorgelegt und eine ausreichende Tätigkeit als Helfer in der Praxis nachgewiesen wird.

Am 10. Januar 1978 wurde im Anschluss an einen Lehrgang der Deutsche Sprengverband in Siegen gegründet. Der DSV ging also aus den Siegener Lehrgängen hervor. Die jährliche Informationstagung des Verbandes findet deshalb traditionell in Siegen statt. „Damals hatten wir schon eine zündende Idee“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Sprengverbandes, Jörg Rennert.

Maßgeblich getragen wird der Unterricht in den Lehrgängen durch die unmittelbare Vernetzung mit Experten aus der Praxis und den Behörden. Stellvertretend zu nennen sind Dr.-Ing. Frank Hammelmann, Orica Mining Services, Dipl.-Ing. Ulf Spod, Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, Dipl.-Ing. Jürgen Schroer, Arbeitsschutz.
Weitere Informationen sind zu finden unter www.sprengtechnik-siegen.de .

Zur Geschichte der Bergschule findet sich im einschlägigen Bestand 2.16.1 (Wirtschaftsförderung) des Kreisarchivs in der vielversprechenden Akte Nr. 513: „1) Schulgeschichte, Schulchroniken 2) Schuljubiläen“ lediglich ein einizger Vermerk anlässlich des 50jährigen Bestehens der Lehrgänge: 50JahreSpreng (PDF). Das Stadtarchiv Siegen hat 2003 eingößere Zahl von Unterlagen der Bergschule übernommen – inside Siegen v. 4.6.2003. Das Archiv des Stahlbergmuseums in Hilchenbach-Müsen verfügt in seinem Bestand ebenfalls Unterlagen zur Geschichte der Bergschule.

Quellen:
1) Dipl.-Ing. Dieter Reinschmidt, Leiter der Sprengtechnischen Lehrgänge des Kreises Siegen-Wittgenstein, November 2011, Manuskript zum 70.jährigen Besten der Sprengtechnischen Lehrgänge
2) Pressemitteilung Kreis Siegen-Wittgenstein, 13.12.2016

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