Literaturhinweis: Tobias Winter „Die deutsche Archivwissenschaft und das »Dritte Reich«

Disziplingeschichtliche Betrachtungen von den 1920ern bis in die 1950er Jahre“
Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Forschungen (VAPKF), Band 17
2018. 606 S. Geb. (ca. 1.035 g), ISBN 978-3-428-15484-5, EUR 99,90

„Es ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass Untersuchungen von ›NS-Vergangenheiten‹ sich nicht auf die Jahre 1933 bis 1945 beschränken dürfen, sondern durch die Berücksichtigung der jeweiligen Vor- und Nachgeschichte auch potentiellen Pfadabhängigkeiten, Kontinuitäten wie auch Brüchen nachspüren sollten. Die vorliegende Studie nimmt deshalb die Disziplin der Archivwissenschaft vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die frühen Jahre von Bundesrepublik und DDR in den Blick.

Dabei werden nicht ausschließlich disziplininterne Konstellationen und Diskussionen, Institutionen und Personen berücksichtigt, sondern diese in einem breiten wissenschaftspolitischen wie auch gesellschaftlichen Kontext betrachtet. Im so entstandenen Narrativ einer deutschen Archivgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden erstaunliche Kontinuitäten sowohl personeller wie auch institutioneller Art deutlich.
Inhaltsübersicht:
A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte. Archivwesen und -wissenschaft über das ›lange 19. Jahrhundert‹ bis zum Ende des Ersten Weltkriegs

Die Vorgeschichte bis zum Ende des ›langen 19. Jahrhunderts‹ – Der Erste Weltkrieg, 1914–1918

C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur – Die Zwischenkriegszeit

Hypotheken des Krieges, Aufschwung und interdisziplinäre Forschung. Das erste Jahrzehnt der Weimarer Republik, 1919–1929 – Professionalisierung und Ausrichtung gen Osten. Der Beginn der Ära Brackmann in der späten Weimarer Republik, 1929–1933 – Erzwungene Kollaboration oder Selbstindienststellung? Arbeiten in den ersten Jahren der Diktatur, 1933–1936 – Radikalisierung und Mobilmachung? Vom Vierjahresplan bis zum Beginn des Weltkriegs, 1936–1939

D. »Mit einem Schlage alle technischen Schwierigkeiten und Rücksichten beiseite geräumt« – Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

Osteinsatz I: »Nicht wissenschaftliche oder fachliche«, sondern »vornehmlich politische Richtlinien«. Deutsche Archivare in Polen und im Baltikum, 1939–41 – »Höhere Formen des Plünderns«? – Archivare in den besetzten Gebieten des Westens – Osteinsatz II: Neue Herausforderungen und zwiespältige Erfolge im Ostkrieg, 1941–1945 – Kriegsalltag in Archivwesen und -wissenschaft: Archivare an der Heimatfront

E. ›Stunde Null‹, Entnazifizierung und Wiederaufbau

Desillusionierung – Entnazifizierung – Neuformierung. Die frühe Nachkriegszeit, 1945–1949 – Ausblick: Die ›doppelte Staatsgründung‹. Archivwesen in Bunderepublik und DDR, 1949–1952

F. Schluss: Fazit und Ausblick

G. Anhang: Quellen und Literatur – Personenverzeichnis

Tobias Winter hat an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Germanistik und Geschichte studiert. Nach dem Ersten Staatsexamen entstand seine Dissertationsschrift »Die deutsche Archivwissenschaft und das ›Dritte Reich‹«. Während dieser Zeit war er an verschiedenen Lehrstühlen des Historischen Seminars beschäftigt, unter anderem als Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte. Lehrtätigkeiten zur Geschichte des Bildungsbürgertums in Kaiserreich und Republik, zur NS-Wissenschaftsgeschichte, zur Biografik als Methode der Historiografie sowie zur Geschichte der Archivwissenschaft. Seit Abschluss der Dissertation 2017 ist er als Projektmanager in der IT-Branche tätig.“
Quelle: Verlagswerbung

via Archivalia

2 Gedanken zu „Literaturhinweis: Tobias Winter „Die deutsche Archivwissenschaft und das »Dritte Reich«

  1. Ergänzende Informationen zum Dissertationsprojekt:
    „An nicht wenigen Archivarskarrieren im 20. Jh. wird deutlich, dass die Entnazifizierung kaum Spuren in der deutschen Archivwissenschaft hinterließ. Obwohl Kontinuitäten nach 1945 keine Ausnahmen waren und bis in höchste Ämter führen konnten, entstand lange Zeit keine systematische historische Forschung zur Geschichte des Archivwesens (der institutionalisierten Archivlandschaft) oder der Archivwissenschaft (als wissenschaftlicher Disziplin) des „Dritten Reichs“. Von der Geschichtswissenschaft vernachlässigt und von Archivaren nur akzidentiell betrieben, kam es erst Mitte der 1990er Jahre zur Publikation von Pionierstudien, die seitdem um meist deskriptive Arbeiten zu isolierten Teilaspekten der NS-Archivgeschichte ergänzt wurden. Eine übergreifende Arbeit stellt hingegen ein Forschungsdesiderat dar. In der projektierten Dissertation soll dieses Defizit angegangen und disziplinhistorische Forschung geleistet werden, auch um durch Fachgeschichte zum besseren Verständnis der archivwissenschaftlichen Disziplin beizutragen. Der Untersuchungszeitraum (~1920-1950) ergibt sich in erster Linie dadurch, dass auch in diesem Kontext weder 1933 noch 1945 tiefgreifende Zäsuren darstellen. Unter Berücksichtigung einer Binnenperiodisierung des „Dritten Reichs“ sollen deshalb Entwicklungen aufgezeigt werden, welche die Archivwissenschaft maßgeblich beeinflussten. Spannungsfelder innerhalb des Archivwesens werden ebenso untersucht wie Kooperationen archivwissenschaftlicher Einrichtungen mit staatlichen und parastaatlichen Organisationen. Für letztere sind vielfältige Verflechtungen während des Zweiten Weltkriegs, die von Kooperation bis Partizipation reichten, offensichtliche Beispiele. Die Archivwissenschaft darf bei diesem Vorgehen allerdings nicht als monolithische Einheit verstanden werden. Stattdessen muss ihre personelle Zusammensetzung ebenso untersucht werden wie die Konstituierung fachinterner „Denkkollektive“, da hier eventuelle rassistisch-expansionistische Radikalisierungstendenzen ausgemacht werden können. Um diese Lücke in der Forschung zu schließen, wird ein spezifischer institutionsgeschichtlicher Ansatz gewählt, der sich durch prosopographische Untersuchungen ergänzen lässt. Statt den Blick ausschließlich auf organisatorische Strukturen und deren Entwicklung zu beschränken, sollen institutionelle Rahmenbedingungen vielmehr dahingehend betrachtet werden, welchen Einfluss deren Veränderungen auf die in diesen „Arbeits- und Kommunikationszusammenhängen“ ausgeübten Tätigkeiten hatten. Deshalb werden unter Institutionen nicht in erster Linie Behörden oder Organisationen verstanden, sondern auch wissenschaftliche Tagungen, Fachzeitschriften und Ausbildungswege. Wechselwirkungen innerhalb der Disziplin lassen sich damit ebenso erkennen wie zwischen den „Ressourcenensembles“ Wissenschaft und Politik. [Februar 2013]“
    Link: http://www.wsu.geschichte.uni-freiburg.de/personen/Tobias-Winter

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