„Schwerste Notzeit, die Deutschland je erlebte“:

Am 18. Dezember 1945 tagte Kreistag erstmals nach dem Krieg
Veröffentlichung der Protokolle des Landkreises Siegen aus den Jahren 1945 und 1946 zum Internationalen Archivtag unter dem Motto „Demokratie“

Es sei die „schwerste Notzeit, die Deutschland je erlebte“, so der ehemalige Landrat des Landkreises Siegen, Otto Schwarz, als er vor genau 60 Jahren vor den Kreistag trat: Am Dienstag, 18. Dezember 2005, fand die erste Sitzung des Kreistages des Landreises Siegen nach Kriegsende statt. Wichtigester Tagesordnungspunkt: Die Verabschiedung der Kreisverfassung. In ihr wurde damals unter anderem die Zusammensetzung und Berufung des Kreistages und des Kreisausschusses, aber auch die Rechtsstellung von Landrat und Oberkreisdirektor und das Zusammenwirken der Organe des Landkreises geregelt. Da es noch keine Kommunalwahlen gab, waren die ersten Kreisverordneten nicht gewählt, sondern von der Militärregierung ausgewählt worden, zwei Drittel auf Vorschlag der zugelassenen Parteien, ein Drittel auf Vorschlag des Landrates. Die Erfahrungen aus der Kriegs- und Vorkriegszeit und die hieraus zu ziehenden Lehren waren die beherrschenden inhaltlichen Themen der Sitzung. „Es muss das politische Ziel aller Deutschen sein, die guten Willens sind, eine politische Entwicklung wie nach dem Kriege 1914/18 zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine grundlegende Erziehung des gesamten Volkes und insbesondere der Jugend zu einem wirklich demokratischen Denken erforderlich“, betonte Landrat Schwarz in seiner Eröffnungsrede.

Der gebürtige Hilchenbacher hatte unter den Nationalsozialisten wegen Beleidigung der Reichregierung und der NSDAP mehrere Monate im Gefängnis verbracht und war im Sommer 1945 von der obersten Militärbehörde in Bünde zum Landrat ernannt worden. Schwarz dankte anlässlich der Kreistagssitzung allen, die sich in den ersten Monaten nach Kriegsende am Wiederaufbau im Siegerland beteiligt hatten: „Wenn wir an die ersten Tage und Wochen nach der Besatzung zurückdenken und uns vergegenwärtigen, dass wir kaum für drei Tage Lebensmittel hatten, keine Eisenbahn, kaum andere Transportmittel, Zerstörung und Mutlosigkeit, wohin wir blickten und uns dann unsere heutigen Verhältnisse betrachten, dann können wir mit Fug und Recht feststellen: Es ist schon vieles im Siegerlande geschafft worden!“ Unter den Zuhörern befanden sich an diesem Tag neben den 47 Kreisverordneten auch mehrere Vertreter der Alliierten Militär-Regierung und Fritz Fries. Der damalige Regierungspräsident aus Arnsberg erinnerte in seiner Ansprache an die Zeit vor und während des Zweiten Weltkrieges und verwies auf die große Herausforderung der Kreistagsmitglieder: „Sie haben heute zu beweisen, dass Sie wirkliche Demokraten sind. Die Riesenarbeit, die wir leisten müssen, um aus der Riesenpleite wieder heraus zu kommen, gestattet keine Agitationspolitik.“ Für die Erfüllung ihrer Aufgaben wünschte der Regierungspräsident den Kreisverordneten viel Glück und „fröhliche Weihnachten – so sehr es eben möglich ist!“
Link zu den Kreistagsprotokollen aus den Jahren 1945 und 1946: 1945_46 (PDF, 30 MB)
Quelle: Kreis Siegen-Wittgenstein, Pressemitteilung vom 20.12.2005

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