Landrat Heinrich Otto: “Für Einheit der Werktätigen”

Während bisher in diesem Blog die Biographie Ottos vor 1945 ausgiebig beleuchtet wurde (s. u.), soll nun ein zentrales Dokument wiedergegeben werden, dass zur Erhellung der politischen Einstellung Ottos unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beiträgt:

“Entschließung

Am Samstag, den 18. August 1945 traten die Funktionäre der Sozialdemokratischen und der Kommunistischen Partei des Unterbezirks Siegen zu einer gemeinsamen Tagung zusammen und legten folgende Gedanken und Grundsätze fest:

Die 13 Jahre Hitlerfaschismus und besonders der Raubkrieg des deutschen Kapitalismus haben eine katastrophale Lage in Deutschland geschaffen. Städte liegen in Trümmer, Verkehrsmittel sind zerstört und der Hunger droht. Das deutsche Volk ist noch betäubt vom Lärm der großen Männer und zerstochen von den Stacheln der kleinen Hitler; es wartet noch immer auf Befehle von oben und hat die Selbstinitiative noch nicht gefunden. In den Verwaltungen des zivilen Sektors herrscht Unsicherheit, es mangelt an jener Autorität, die durch planvolles und zielbewusstes Handeln und nicht durch Selbstbeweihräucherung nach Hitlerschem Muster erworben wird.

Anstatt die Verwaltung zu säubern, sind noch gut ausgewachsene Nazisten neu eingestellt worden. Die “antifaschistischen Spitzen der Behörden” verkriechen sich hinter die ausrede, daß es an geeigneten Kräften aus dem antifaschistischen Lager fehle und wenn sie in die Enge getrieben werden, dann muß die Alliierte Militärregierung herhalten, hinter deren Rücken ein Versteckspiel getrieben wird.

Vernehmlich laut kichern die Nazisin den Amtsstuben über die “genasführten Antifaschisten” und da die braunen Verderber nach den Worten ihres Herren und Meisters: “Bereichert Euch” handelten, haben sie noch immer das Wirtschaftleben in der Hand und fühlen sich als Herren der Lage, die sich gegenseitig die Bälle zuwerfen.

Im Bewußtsein, daß der Kapitalismus und der versteckte Hitlerismus die Nutznießer der Uneigkeit innerhalb der Werktätigen sind, haben sich die Funktionäre der SPD und KPD zusammengefunden und beschlossen:

  1. Ein zweites 1918 als Versager darf sich nicht wiederholen.
  2. Vorbehaltlose Anerkennung der Potsdamer Beschlüsse und Mithilfe bei deren Durchführung.
  3. Herstellung der Einheit aller Werktätigen.

Zur Durchführung dieser Beschlüsse wird ein Arbeitsausschuß, bestehend aus 5 Vertreter der SPD und 5 Vertretern der KPD, gebildet. Gemeinsame Beratung und Klärung ideologischer Fragen, sowie gemeinsame Veranstaltungen werden von diesem Arbeitsausschuß eingeleitet und durchgeführt.

An alle Werktätigen in Stadt und Land richtet die Konferenz die Aufforderung, dem Beispiel zu folgen und den Willen zur Einheit durch positive Mitarbeit zu bekunden. Die Funktionäre der SPD und der KPD fordern Euch auf, mit Entschlossenheit den Kampf gegen die Überreste des Hitlerfaschismus zu führen, den Militarismus zu vernichten und die Wegbereiter für den völkerverbindenden Sozialismus zu sein.

Rüttelt die Schlafenden auf! Im Osten glüht der junge Tag!

Es zeichnen verantwortlich: Siegen, den 18. August 1945

Kommunistische Partei:                                              Sozialdemokratische Partei:
gez. Heinrich Otto                                                        gez. Peter Müller
gez. Emil Grasskamp                                                  gez. Max Baumann
gez. Ernst Stein.                                                           gez. Julius Hense.”

entnommen aus: Ulrich Friedrich Opfermann: Konrad Kaletsch, Flick-Konzern und die Nazi-Diktatur, in: Arbeitsgruppe Konrad Kaletsch (Bearb.): Konrad Kaletsch, Flick-Konzern und das Siegerland, Siegen 1987, S. 36.
Dort wird als Quelle für die Entschließung der Nachlass Ludwig Popp, Siegen-Gosenbach angegeben. Weder im Siegener Stadtarchiv noch im Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein ist dieser Nachlass nachweisbar. Auch die überörtlichen Nachweisfindmittel ( http://www.nachlassdatenbank.de/ , http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/ ) kennen dieses Nachlass nicht.
Zu Ludwig Popp schreibt Opfermann in: Ulrich Friedrich Opfermann: Siegerland und Wittgenstein im Nationalsozialismus. Personen, Daten, Literatur. Ein Handbuch zur regionalen Zeitgeschichte. 2. Aufl. Siegen 2001, (= Siegener Beiträge, Sonderband 2001) auf S. 244: “Ludwig Popp, *23.11.1899 in Hartenhof/Oberpfalz, gest. 11.11.1985 Gosenbach, Gosenbach, Arbeiter, Schuhmacher, KPD, illegal (1933), mehrfach inhaftiert, nach 1945 erneut KPD (Ab 1956 illegal), DKP.” Dieser Eintrag bezieht sich u. a. auf einen Artikel in der Siegener Zeitung vom 17.9.1983: “Trotz schwerem Leben den Mut nie verloren. Eheleute Ludwig und Erna Popp feiern das Fest der diamantenen Hochzeit.”

Zum Einstieg in die unmittelbare Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sei auf folgende Literatur verwiesen:

  • Bernd Plaum: Aufbau demokratischer Strukturen in den Kreisen Siegen und Wittgenstein. Teil I: Die britische Besatzungszeit, in: Siegener Beiträge. Jahrbuch 12/2007, S. 115-150.
  • Dieter Pfau (Hg.): Kriegsende 1945 in Siegen. Dokumentation der Ausstellung 2005, Bielefeld 2005.

Folgende Beiträge zu Landrat Heinrich Otto liegen bereits auf siwiarchiv.de vor:

1) F. Kraume: Landrat Heinrich Otto – Eine biographische Skizze
2) Anmeldung an der Wiesen- und Wegebauschule Siegen und Lebenslauf
3) Hermann Reuter: Unser Landrat Heinrich Otto
4) Ermittlungsakte der Generalstaatsanwaltschaft Hamm über Heinrich Otto, 1933
5) Ermittlungsakte des Oberreichsanwaltes Berlin über Heinrich Otto, 1936

Ein Gedanke zu „Landrat Heinrich Otto: “Für Einheit der Werktätigen”

  1. Ich habe von 1938 -56 in Siegen gelebt.Eisernerstr.26.Ich habe mich im Internet umgeschaut,aber ich erkenne kaum noch etwas.Werde demnächst noch einmal die Stadt besuchen. Sami

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