Emotionale Spurensuche in Bad Laasphe:

Mindy Nudelman besuchte Heimatort ihrer jüdischen Vorfahren

Mindy Nudelmann (vorne) und ihr Ehemann Ilan trugen sich ins Goldene Buch der Stadt Bad Laasphe ein. Mit dabei waren (hintere Reihe, v. l.): Joachim Cierpka (Übersetzer), Otto Düsberg (früherer Bürgermeister von Bad Laasphe), Rainer Becker (Vorsitzender Bad Laaspher Freundeskreis für christlich-jüdische Zusammenarbeit), Klaus-Peter Wolff (Schriftführer Bad Laaspher Freundeskreis für christlich-jüdische Zusammenarbeit) und Bürgermeister Dr. Torsten Spillmann. (Foto: Stadt Bad Laasphe)

Diese Reise war wohl eine der emotionalsten, die Mindy Nudelman je angetreten hat: Gemeinsam mit ihrem Ehemann Ilan besuchte die 70-jährige gebürtige Kanadierin in dieser Woche Bad Laasphe. Zu der Lahnstadt hat sie eine ganz besondere Beziehung, und das, obwohl sie noch nie zuvor dort war. Denn ihre Großeltern Herz und Minna Beifus, Mitglieder der jüdischen Gemeinde, lebten mit ihren sechs Kindern jahrzehntelang in Bad Laasphe. Ihr Vater Artur Beifus wurde 1915 in der Lahnstadt geboren. Nun wollte die frühere Englischlehrerin die Heimat ihrer Vorfahren väterlicherseits einmal genauer kennenlernen. Zusammen mit ihrem Ehemann und dem Bad Laaspher Freundeskreis für christlich-jüdische Zusammenarbeit unter dem Vorsitz von Rainer Becker begab sie sich vier Tage lang auf Spurensuche und tauchte ein in die Vergangenheit und in die Familiengeschichte, die durch den Zweiten Weltkrieg auf tragische Weise geprägt wurde.

Herz und Minna Beifus, die zuerst im Steinweg 5 lebten und später in der Schloßstraße 16, wurden 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und in Treblinka ermordet. Auch ihre beiden Töchter wurden umgebracht. Von den sechs Kindern überlebten nur die vier Söhne. Mindys Vater Artur war bereits nach der Reichspogromnacht im November 1938 für einige Monate im KZ Sachsenhausen inhaftiert worden. 1939 floh er nach England, 1942 ging er nach Kanada und entkam so dem Holocaust. Hier lernte er seine spätere Frau Anne kennen und hier lebte er gemeinsam mit ihr 50 Jahre. 1992 zogen beide zu Tochter Mindy, die bereits in jungen Jahren nach Israel emigriert war und dort inzwischen eine eigene Familie gegründet hatte.
Ihr Vater habe nie viel über seine Zeit in Deutschland gesprochen, erzählte Mindy Nudelman. „Was er gesagt hat, war, dass er stolz war, Deutscher zu sein, dass er stolz war, Laaspher zu sein.“ Deshalb war es der 70-Jährigen auch schon seit Längerem ein Anliegen, das Heimatland und im Besonderen den Geburtsort ihres Vaters zu besuchen. Von ihrer Cousine Davia Lavi, die vor zwei Jahren gemeinsam mit ihrem Bruder anlässlich des 75. Jahrestages der Deportation von 18 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern – darunter die Großeltern Herz und Minna – in Bad Laasphe zu Gast war, erhielt sie die E-Mail-Adresse von Rainer Becker und nahm im Januar diesen Jahres Kontakt auf. Rainer Becker freute sich sehr: „Unser Verein will das Andenken an die jüdischen Mitbürger, die jüdische Gemeinde und die jüdische Kultur in Bad Laasphe wachhalten. Inzwischen sind die jüdischen Mitbürger von damals alle nicht mehr da. Deshalb freuen wir uns umso mehr über Kontakte und Besuche der Nachkommen. Mit Mindy und Ilan Nudelman können wir einen weiteren Kontakt zu unserer Liste hinzufügen.“
In dieser Woche dann zeigte er Mindy und ihrem Ehemann Ilan das Elternhaus von Mindys Vater im Steinweg 5, die Stolpersteine in der Schloßstraße, die an ihre Großeltern Herz und Minna erinnern, die Alte Synagoge, den jüdischen Friedhof und jede Menge Fotos und Dokumente. Bewegende Momente für die frühere Englischlehrerin: „Ich kann das alles jetzt besser verstehen. Ich habe jetzt ein Bild von dem, was ich mir bisher immer nur habe vorstellen können“, erklärte sie und dankte dem Freundeskreis für sein Engagement gegen das Vergessen.
Zum Besuchsprogramm gehörte auch eine Stippvisite am Montag im Bad Laaspher Rathaus – inklusive Eintrag ins Goldene Buch. „Schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Ihre Wurzeln kennenzulernen. Nur durch persönlichen Kontakt kann Vertrauen geschaffen werden, das eine wichtige Basis für die Zukunft darstellt“, sagte Bürgermeister Dr. Torsten Spillmann und überreichte Mindy Nudelmann als Geschenk eine Kopie der Geburtsurkunde ihres Vaters. Auch der frühere Bad Laaspher Bürgermeister Otto Düsberg war am Montag in den großen Sitzungssaal gekommen, um das Ehepaar Nudelman persönlich kennenzulernen. Er hatte 1988, zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht, alle jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus Bad Laasphe, die den Völkermord überlebt hatten, in ihre Heimatstadt eingeladen. Bei diesem Treffen hatte Mindys Vater Artur seine drei Brüder zum ersten Mal nach dem Ende der Nazi-Herrschaft wiedergesehen. „Im Leben eines Bürgermeisters gibt es Momente, die man niemals vergisst. Dieser war so einer“, erinnerte sich Otto Düsberg an das Treffen. „Mehr als 50 Jahre hatten sich die vier Brüder nicht gesehen, sie umarmten sich, sie weinten. Aber das Bewegendste war die Kommunikation. Nicht alle konnten gut Englisch. In diesem Moment erinnerten sie sich wieder an die Sprache ihrer Kindheit, das Laaspher Platt. Das war sehr besonders und sehr emotional.“
Am vergangenen Dienstag wäre Artur Beifus 104 Jahre alt geworden. Mit der Tatsache, dass sie diesen Tag in der Heimatstadt ihres Vaters verbringen konnte, schloss sich für Mindy Nudelman ein Kreis. Sie werde die vielen neuen Erkenntnisse mitnehmen in ihre Heimat Israel, um ihren drei Töchtern und ihren zehn Enkeln davon zu erzählen: „Ich hoffe, sie kommen auch eines Tages nach Bad Laasphe, um ihre Wurzeln kennenzulernen.“
Quelle: Stadt Bad Laasphe, Rund um die Stadt, 4.7.2019

Ein Gedanke zu „Emotionale Spurensuche in Bad Laasphe:

  1. Diese Geschichte beeindruckt mich tief . Auch wenn das Geschehen mehr als 75 Jahre zurück liegt, lässt es mich nicht los. Deshalb engagiere ich mich im Aktiven Museum Südwestfalen, damit das furchtbare Unrecht nicht vergessen wird.

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