„Der Vergangenheit eine Zukunft geben“

Erzbischof Hans-Josef Becker beim 4. Tag der Pfarrarchive in Warstein-Belecke

V. l.: Michael Streit, zuständig für die Pfarrarchivpflege im Diözesanarchiv des Erzbistums Paderborn, Erzbischof Hans-Josef Becker und Diözesanarchivar Dr. Arnold Otto. Foto: Ingrid Schmallenberg


„Danke für Ihren Spürsinn und Ihre Motivation im Sinne der Spurensuche und des Archivwesens!“ Mit anerkennenden Worten hieß Erzbischof Hans-Josef Becker die Archivpflegerinnen und -pfleger des Erzbistums Paderborn am vierten Tag der Pfarrarchive in seiner Heimatgemeinde Belecke willkommen. 69 von insgesamt 100 Ehrenamtlichen waren der Einladung von Diözesanarchivar Dr. Arnold Otto zur gemeinsamen Tagung gefolgt. Sie nutzten die Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch, ließen sich von den „Kollegen“ durch das Belecker Pfarrarchiv führen und bewunderten in der Schatzkammer des Propsteimuseums neben 300 Jahre alten liturgischen Gewändern eine Fülle kostbarer Kelche, Ziborien und Monstranzen aus dem 15. bis 16. Jahrhundert.

Dem Besuch in der barocken Pfarrkirche St. Pankratius folgte mit der Ankunft des Paderborner Erzbischofs der Höhepunkt des informativen Tages. Bevor er sich den Fragen zum Thema „70 Jahre Bistumsgeschichte“ stellte, wandte er sich nachdenklich an die Anwesenden. Manchmal, so betonte er, mache ihm die Arbeit der Archivare ein schlechtes Gewissen. Was sie sowohl säkular, als auch kirchlich auf sich nähmen, sei ihm eine große Entlastung: „An diesem Punkt der Archivpflege kommt zum Ausdruck, dass unsere Lebensphase hier nur von kurzer Dauer ist und wir Verantwortung für die Vergangenheit und die Zukunft tragen.“

„Das hier war meine Welt“

Nach seinen frühesten Erinnerungen an Belecke und die Kirche vor Ort gefragt, sah er sich im Saal des Pfarrzentrums um und antwortete: „Das hier war meine Welt.“ Seine erste „Weltreise“ habe ins 20 Kilometer entfernte Lippstadt geführt. Selbstredend sei er mit der Eisenbahn gefahren. „Mein Vater arbeitete ja bei der WLE.“

Im Oktober 1959 wurde der Schüler Hans-Josef Becker von Weihbischof Wilhelm Tuschen in der Pfarrkirche St. Pankratius gefirmt. Heute erinnert er sich an die damals noch recht sparsame Vorbereitung auf das Sakrament: „Das war mit zwei Stunden in der Schule erledigt.“

Von Weltoffenheit geprägt

Lebendiger sind seine Erinnerungen an den damaligen Pfarrer Josef Müller: „Wir haben Bauklötze gestaunt, weil der mit einer Boeing nach Amerika flog.“ Die Weltoffenheit dieses Mannes habe seine Kindheit geprägt: „Zwischen Haarstrang und Stimm-Stamm gab es eine besondere Offenheit.“ Die Kontakte des Geistlichen zu Glaubensbrüdern in Argentinien, Amerika, Italien und Chile faszinierten den kleinen Jungen, der später Erzbischof werden sollte: „Das hatte schon weltkirchlichen Charakter.“ Die neuen Horizonte, die es zu entdecken galt, weckten die Lust des Heranwachsenden auf das große Abenteuer Leben: „Das war keine wohlgediegene Geborgenheit. Wir wurden dazu angehalten, hinter die Dinge zu sehen.“

Pfarrseelsorge als Erfüllung

Die Frage, was er kurz vor Antritt seiner ersten Stelle als Vikar in Lippstadt erwartet habe, beantwortet Hans-Josef Becker mit dem ihm eigenen Humor und mit einem Schmunzeln: „Wie das so ist, du studierst sechs Jahre lang auf Papst und dann wirst du Vikar in St. Bonifatius.“ Wieder ernst werdend fügt er hinzu: „Ich wollte immer in die Pfarrseelsorge und das war auch meine Erfüllung.“

Wie die ganz eigene Reformationsgeschichte Lippstadts ihn und seinen evangelischen Amtskollegen geeint und zur Ökumene geführt und wie sich der priesterliche Dienst seitdem verändert hat, erfuhren die Anwesenden ebenfalls. „Die Aufgaben der Geistlichen“, so die Einschätzung des Erzbischofs, „sind dieselben geblieben, aber die, die zur Verfügung stehen, sind weniger“. Die Frage sei, wie unter erschwerten Umständen ein gedeihliches Miteinander phantasievoll entwickelt werden könne.

Leider habe sich das Anspruchsdenken in den Gemeinden bezüglich der kirchlichen „Service-Leistungen“ verändert: „Es herrscht bisweilen ein rabiater Ton.“ Dem ausgesetzt zu sein, koste Kraft und Zeit. Klar ist: „Wir müssen uns um andere Antworten bemühen als um die, die wir bislang in unserem Katalog hatten.“ Dabei sieht er durchaus positiv in die Zukunft: „Ich bin zuversichtlich, dass es nach einer Phase großer Krisen zu einer neuen Wertschätzung dessen kommt, was uns ausmacht.“

Über die Erinnerung der Lebenden hinaus

In der Zeit zwischen Gespräch mit Erzbischof Becker und der Abendmesse, aber auch während der gemeinsamen Mahlzeiten, nutzten die Teilnehmer die Möglichkeit zum Gespräch mit den Kollegen. Dagmar Kaufhold (Herford) und Winfried Wiggenbrock (Erwitte) gaben fachfremden Besuchern gern Einblicke in ihre tägliche Arbeit, die sie mit „sichten – enteisen – aufbewahren“ auf einen kurzen Nenner brachten. Das Pfarrarchiv, darüber sind sie sich einig, ist das Gedächtnis der Kirchengemeinde: „Es bewahrt die Menschen und das, was sie geschaffen haben, über die Erinnerung der Lebenden hinaus.“

Sichten – enteisen – aufbewahren

Die Aufbewahrung oft jahrhundertealter Archivalien gehört ebenso zu ihren Aufgaben wie die Weiterführung des Pfarrarchivs. Schließlich sind die „jungen“ Unterlagen die Dokumente der Zukunft, mit deren Hilfe spätere Generationen über die laufende Epoche urteilen werden. Rechnungen, Briefe, Bauakten und Haushaltspläne wollen gesichtet, zugeordnet und gegebenenfalls archiviert werden.

„Wir geben der Vergangenheit eine Zukunft“, erklärt Winfried Wiggenbrock. Dass er bei seiner Arbeit auf viele interessante Geschichten stößt, ist die eine Sache, die andere ist, dass er sich im stillen Kämmerlein oft ziemlich einsam fühlt. Nicht zuletzt aus diesem Grund schätzt er den Tag der Pfarrarchive: „Hier erfahren wir die Wertschätzung, die ansonsten eher selten bis zu uns durchdringt.“
Quelle: Erzbistum Paderborn, Pressemitteilung, 9.3.2020, Text: Ingrid Schmallenberg

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