Online-Datenbank zur NS-Straßenbenennungspraxis in Westfalen und Lippe freigeschaltet

Die Datenbank kann im Internet über die Adresse http://www.strassennamen-in-westfalen-lippe.lwl.org aufgerufen werden.

Straßenumbenennungen bieten immer wieder Anlass für zum Teil heftige Kontroversen zwischen Gegnern und Befürwortern einer Namensänderung. Das hat nicht nur die inzwischen erfolgte Umbenennung des Hindenburgplatzes in Münster gezeigt. Im Fokus standen und stehen hier bislang hauptsächlich jene Straßennamen, die nach 1945 vergeben wurden und Personen (z. B. Wagenfeld, Miegel, Castelle) ehren, deren Rolle in der NS-Zeit zunehmend kritisch hinterfragt wird. Ein besonderer, bislang kaum beachteter Aspekt war die Neu- oder Umbenennung von Straßen, Wegen und Plätzen in der Zeit des Nationalsozialismus, dem das LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte nun eine deutschlandweit einmalige Online-Datenbank gewidmet hat.
In welchen Städten und Dörfern zwischen 1933 und 1945 Um- oder Neubenennungen vorgenommen wurden, können nun historisch Interessierte in einer Online-Datenbank recherchieren. Sie steht jetzt als neues Modul des Internet-Portals ?Westfälische Geschichte“ online zur Verfügung. ?Flächendeckend wurden nach der sog. Machtergreifung 1933 auch in Westfalen und Lippe Straßen umbenannt“, so Dr. Marcus Weidner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte in Münster, der die Datenbank erstellt hat. ?In der Machtsicherungsphase 1933/34 ging es der NSDAP nicht nur darum, ihre NS-Funktionäre durch Straßenbenennungen zu ehren und die Toten zu Vorbildern zu stilisieren, sondern auch Personen der Weimarer Demokratie oder linker bzw. kommunistischer Parteien von den Schildern zu tilgen. Zugleich aber bemühte man sich, bürgerlich-konservative Milieus für sich zu gewinnen, z. B. auch durch die Benennung von Hindenburgstraßen“, so Weidner weiter.

Die Online-Datenbank des LWL-Instituts bietet nicht nur Informationen zu den Umständen der Benennung und den Verhältnissen in den einzelnen Kommunen, sondern auch zu den Namen, die auf den Straßenschildern standen. Um die Straßen, die heute oft einen anderen Namen tragen, leicht finden zu können, sind sie auf aktuellen Plänen kartiert. Darüber hinaus bietet das Projekt Hintergrundinformationen zur Straßenbenennungspraxis in der NS-Zeit und Anregungen, wie das Thema Straßennamen im Schulunterricht genutzt werden kann.

Die Datenbank verzeichnet jedoch nicht alle in der NS-Zeit vorgenommenen Benennungsakte, sondern hat einen besonderen Fokus auf erinnerungskulturell relevante Straßenbezeichnungen. Darunter sind Straßen mit Bezeichnungen zu verstehen, deren Verwendung vor dem Hintergrund der Zeit eine besondere Bedeutung und Funktion für die politischen Akteure hatte. Hierzu zählen Namen etwa von Personen oder Organisationen, die man durch eine Straßenbenennung bewusst ehren oder zu Vorbildern erheben wollte (z. B. Hitler, Göring, Wessel, SA), oder von Orten und Gebieten, die mit einer besonderen Geschichte verbunden waren, z. B. Schlachtenorte des Ersten Weltkriegs (z. B. Tannenberg) oder Gebiete, die nach dem Versailler Vertrag abgetreten werden mussten (z. B. Elsaß, Malmedy). Bis jetzt konnte Weidner für die heutigen 231 Kommunen Westfalen-Lippes über 1.800 derartige Benennungen recherchieren, v. a. mit Unterstützung der westfälischen Archive. Doch es sind immer noch Lücken vorhanden. Die Arbeiten an der Datenbank sind deshalb noch nicht abgeschlossen, sondern sollen fortgesetzt werden (Hinweise bitte an Marcus Weidner, marcus.weidner@lwl.org).

Hintergrund

Anstoß für dieses Projekt war eine Tagung des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte in Kooperation mit der LWL-Literaturkommission für Westfalen und dem Westfälischen Heimatbund, die 2011 diesem brisanten Thema eine Tagung in Münster gewidmet haben. Die Beiträge der Tagung wurden letztes Jahr in einem Sammelband veröffentlicht, der über den Buchhandel noch erhältlich ist.

Die Datenbank kann im Internet über die Adresse http://www.strassennamen-in-westfalen-lippe.lwl.org aufgerufen werden.

Hintergrundinformationen zum Internet-Portal

Das Internet-Portal ?Westfälische Geschichte? (http://www.westfaelische-geschichte.lwl.org) ist ein ebenso umfassendes wie vielschichtiges Webangebot zur Regional- und Landesgeschichte Westfalens. Konzipiert als ein themenspezifischer Informationspool, hält das im November 2004 gestartete Internet-Portal vielfältige Service- und Informationsangebote für Sie bereit – Einführungstexte in Epochen und Themen, Biografien, Quellen, Ereignisse, Links, digitalisierte Literatur, Medien, Karten u. v. m. Einzelne Themen und Aspekte werden zudem vertiefend in Schwerpunkt- und Projektbereichen dargestellt. Vielfältige Vernetzungen und Suchmöglichkeiten erschließen die Inhalte des Portals. Das Angebot ist kostenlos, zeit- und ortsunabhängig nutzbar. Die E-Mailing-Liste „Westfälische Geschichte“ mit rund 1.500 Abonnenten bietet bereits seit Mai 2003 ein Forum für Information und Kommunikation.

Das Portal richtet sich an historisch Interessierte, an Wissenschaftler und Mitarbeiter von Kultureinrichtungen oder auch an Lehrer und Schüler. Die zielgruppenspezifischen Angebote werden fortlaufend erweitert. Im Jahre 2011 wurde das Modul ?Digitale Westfälische Urkunden-Datenbank? (DWUD), das rund 90.000 inhaltliche Zusammenfassungen von Urkunden enthält (Regesten), 2013 kam ein Spielfilm hinzu, der Schüler in die Archivarbeit einführt.

„Westfälische Geschichte“ versteht sich als Partner und Servicedienstleister im Bereich Geschichte und Kultur sowie als Plattform für Information und Austausch im World Wide Web. Das Internet-Portal ist keine Website aus einem Guss, sondern wird ständig um neue Inhalte und Projekte der Portal-Redaktion und der Projektpartner erweitert. Gerade die offene Konzeption macht es möglich, im Rahmen von Kooperationen vielfältige Angebote zur Regional- und Landesgeschichte Westfalens ins „digitale Zeitalter“ zu überführen und an der gemeinsamen Vernetzung zu arbeiten.

Kontakt:
Dr. Marcus Weidner
LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte marcus.weidner@lwl.org

Quelle: Mailingliste „westfälische Geschichte“

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