Klaus Dietermann [8. Juni 1949 – 14. August 2017], Gründer des Aktiven Museums, ist tot

Steffen Schwab würdigte mit seinem Nachruf in der Westfälische Rundschau vom 29.8.2017, den wir freundlicherweise hier wiedergeben dürfen, die prägende Persönlichkeit der regionalen Zeitgeschichtsforschung und der Erforschung des jüdischen Lebens im Gebiet des Kreises Siegen-Wittgenstein:

Klaus Dietermann bei der Bearbeitung von Zeitzeugeninterviews, 1990, Quelle: Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein, Bildsammlung Westfälische Rundschau, Lokalredaktion Nördliches Siegerland, Mappe Klaus Dietermann

„Klaus Dietermann ist mit 68 Jahren gestorben. Der frühere Rektor der Grundschule Erndtebrück hat sich für die Opfer der NS-Diktatur eingesetzt.
Ende Januar hat er im Aktiven Museum gemeinsam mit dem Historiker Dieter Pfau die Ausstellung „Front und Heimatfront“ eröffnet, für die er die Gräber im Krieg getöteter jüdischer Soldaten aus Siegen aufgesucht hat. Am 6. November hat er auf dem Walter-Kraemer-Platz vor dem Kreisklinikum gesprochen und an den 75. Jahrestag der Ermordung des Siegener „Arztes von Buchenwald“ erinnert. Es waren seine beiden letzten großen öffentlichen Ansprachen. Klaus Dietermann, Erforscher der Geschichte und der Schicksale der Juden im Siegerland und Gründer des Aktiven Museums, ist tot. Er starb am 14. August im Alter von nur 68 Jahren an den Folgen einer schweren Krankheit.
Als Student fand Dietermann, der in Siegen geboren wurde, am FJM sein Abi machte und an der damaligen Pädagogischen Hochschule, der heutigen Uni, sein Lehramtsstudium absolvierte, sein Thema: Walter Thiemanns Arbeit „Von den Juden im Siegerland“ war damals, 1973, die einzige relevante Arbeit über das Leben dieser oft verfolgten Minderheit, an der die Nationalsozialisten den Holocaust begingen.

60.000 Personen sehen sein Werk
Dietermann machte die „Untersuchungen zur Geschichte der Juden des Siegerlandes zur Zeit des Nationalsozialismus zum Thema seiner 1. Staatsprüfung. Und legte damit den Grundstein für ein Lebenswerk. Er trat der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit bei, arbeitete über 30 Jahre in deren Geschäftsführung und Vorstand mit und gründete das Aktive Museum Südwestfalen. Vier Jahre lang kämpfte er, am Ende mit Erfolg, dafür, dass die Dauerausstellung nicht in irgendeinen Bunker, sondern in dem Bunker am Obergraben eingerichtet wurde, an dessen Stelle 1938 die Synagoge von den Nazis niedergebrannt wurde. Rund 60.000 Menschen haben die mehrfach erweiterte Dokumentation gesehen, die das Schicksal der Juden wie auch anderer verfolgter Gruppen in Erinnerung hält. Ähnliche stille Beharrlichkeit zeichnete Dietermann aus, als er die Bemühungen unterstützte, für Walter Krämer in seiner Heimatstadt eine würdige Gedenkstätte zu schaffen.
Das Verdienstkreuz wollte er nicht
„Die Kinder sollen wissen, dass sie verhindern müssen, dass so etwas noch einmal passiert“, sagte Klaus Dietermann einmal. Vermittlung und Überlieferung von Wissen war das Anliegen des in den Siegener Trümmern groß gewordenen Jungen, der Lehrer wurde, erst an der Grundschule in Hainchen, später bis 2012 als Rektor an der Grundschule Erndtebrück. Für das, was er als Verpflichtung für sich sah, nahm er das Bundesverdienstkreuz nicht an. Wohl aber 2009 den deutsch-jüdischen Geschichtspreis der Obermayer-Stiftung, für den ihn Prof. Dr. Roger Herz-Fischler vorgeschlagen hatte, Sohn der Hilchenbacherin Ruth Hollaender. Auch die Geschichte dieser Familie hat Dietermann aufgeschrieben.
Klaus Dietermann, der am 21. Februar den Vorsitz im Museumsverein niederlegte und danach zum Ehrevorsitzenden ernannt wurde, sah seine Arbeit nicht beendet. Zwangssterilisationen und Zwangseuthanasierung von Menschen mit Behinderungen zu erforschen, ist ein Auftrag, dem sich folgende Generationen widmen werden — das Tabu brach zu spät auf, als dass er auch dieses Forschungsfeld noch hätte abschließen können. Die, die nach ihm arbeiten, werden noch über Jahrzehnte von Erkenntnissen aus Klaus Dietermanns Veröffentlichungen zehren. Und Siegen, nun ohne seine Begleitung, mit anderen Augen sehen. Seine alternative Stadtrundfahrt, die er über 200 Mal selbst geleitet hat, hat er dokumentiert.“

Die folgende Aufstellung der Publikationen Klaus Dietermanns erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit:
„Untersuchungen zur Geschichte der Juden des Siegerlandes unter dem Nationalsozialismus“ Siegen, Univ.-Gesamthochschule, Fachbereich 02, Hausarb., Siegen 1973,
„Zur Geschichte der Siegener Juden“, in: Siegerland, Bd. 50 (1973), S. 95 – 97
Thiemann, Walter: „Von den Juden im Siegerland. Ausstellung 8. bis 22. November 1975 Städtische Galerie Haus Seel“, Siegen 1975
„Ein Krönchen von einer Stadt. Eine jüdische Familie in Siegen im 18. Jahrhundert“, in: Siegerland, Bd. 57 (1980), S. 76 – 78 [Rosenberg]
Übach, Gerd/ Welkert, Hans-Joachim: „Die Juden im Siegerland zur Zeit des Nationalsozialismus : eine Handreichung für Geschichts- und Deutschlehrer“, Siegen 1981
„Hitler auf den Siegwiesen bei Scheuerfeld. Über 30.000 Menschen im Riesenzelt“, in: Der Tipp, Regionalmagazin 5 (1982) H. 10, S. 8-9
„Nach der Reichstagswahl, in: Der Tipp, Regionalmagazin 5 (1982) H. 11, S. 8-9 [[RT-Wahl v. 7.11.1932]
„Siegen unterm Hakenkreuz : eine alternative Stadtrundfahrt“, Siegen 1983 [2. verbesserte Auflage Siegen 1983]
„Deutsches Volk, gib uns 4 Jahre Zeit, dann richte und urteile über uns“, in: Der Tipp, Regionalmagazin 6 (1983) H. 2, S. 8
„Erneuter Wahlkampf und offene Gewalt, in: Der Tipp, Regionalmagazin 6 (1983) H. 3, S. 6-7
„Hitler, Siegener Ehrenbürger“, in: Der Tipp, Regionalmagazin 6 (1983) H. 4, S. 6
„Das Ende der Demokratie“, in: in: Der Tipp, Regionalmagazin 6 (1983) H. 5, S. 12-13
„Schutzhaft für alle Nazi-Gegner“, in: Der Tipp, Regionalmagazin 6 (1983), S. 14-15
„Siegen 16. Dezember 1944: Zeitungsausschnitte aus dem 3. Reich“, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 1, Siegen 1984
„Aus der Arbeit der Gesellschaft (1973 – 1982)“, in: 25 Jahre Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V., Siegen 1984, S. 10-12
Flender, Hans-Martin: „Kriegsende – Amerikaner an der Sieg : 8. Mai 1945 ; zum 40. Jahrestag des Kriegsendes“. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 2, Siegen 1985
„Kasernen und Kuhmichel : 16. Oktober 1935 ; zum 50. Jahrestag der Garnison Siegen.“, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 3, Siegen 1985
Prümm, Karl: „Walter Krämer : von Siegen nach Buchenwald“, Siegen 1986
„Die Siegener Synagoge : vom Bau und der Zerstörung eines Gotteshauses“, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 5, Siegen 1988 [2. Aufl. 1996]
„Kriegsbeginn : 1939 in Stadt und Kreis Siegen“, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 6, Siegen 1988
„Siegen – eine Stadt unterm Hakenkreuz : Stätten des Nationalsozialismus, des Widerstands und heutige Gedenkstätten. Eine alternative Stadtrundfahrt, Siegen 1988 [3. Aufl. 1993, 4. Auflage 1994]
„Heute vor 50 Jahren: 1. September 1939“, in: Der Tipp, Regionalmagazin 12 (1989) H. 9, S. 6-7
„Familie Frank aus Weidenau : zur Geschichte einer jüdischen Familie“, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 7, Siegen 1990
„Otto Bäcker – „Annäherung“ an einen Lebenslauf, in: Extrablatt. 100 Jahre Sozialdemokratie, Siegen Sept. 1990, S. 5
Morgenstern-Wulff, Johanna ; Röcher, Ruth: „Die jüdischen Friedhöfe im Kreis Siegen-Wittgenstein“, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 8, Siegen 1991.
Prümm, Karl: „Walter Krämer : von Siegen nach Buchenwald“. Beiträge zur Geschichte der Siegerländer Arbeiterbewegung ; Bd. 4, Siegen 1991. [2. Aufl. 2011]
„Jüdische Begräbnisplätze im Siegerland. Vom Zerfall bedroht – Denkmalschutz gefordert“, in: Siegerland, Bd. 68, (1991) S. 59 – 69
Schawacht, Jürgen: „Die Zerstörung einer Stadt, Siegen – 16. Dezember 1944. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 9, Siegen 1994
„Das Aktive Museum Südwestfalen. Ein Dokumentations- und Lernort für regionale Zeitgeschichte in Siegen“, in: Gedenkstätten-Rundbrief 72 (1996)
„Aktives Museum Südwestfalen.Ein Dokumentations- und Lernort für regionale Zeitgeschichte in Siegen, In: Heimatpflege in Westfalen. – 9 (1996), S. 7-10
„Zeitzeugen erinnerten sich. Studienfahrt nach Auschwitz“, in: Siegener Zeitung, 16.11.1996
„Auschwitz : Auf den Spuren Siegerländer und Wittgensteiner Juden ; Fotoausstellung 26.1.-21.3. 1997 Aktives Museum Südwestfalen, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 10, Siegen 1997 [Dokumentation zur Ausstellung]
„Synagoge – Luftschutzbunker – Museum, Aktives Museum Südwestfalen: ein Dokumentations- und Lernort für regionale Zeitgeschichte in Siegen“, in: Siegener Beiträge 2 (1997), S. 160–166.
„Familie Levi Holländer“. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 11, Siegen 1998
„Jüdisches Leben in Stadt und Land Siegen“, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 12, Siegen 1998
„Gedenken einüben“, in: Forschen – lernen – gedenken / [Hrsg.: Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NW e. V. Red. und Bearb.: Kerstin Griese]. – Düsseldorf, 1998. – S. 72 – 78
„Späte Teil-Anerkennung “, in: Siegener Beiträge 4 (1999), S. 153–158. [Walter Krämer]
„Erinnerungsarbeit in der Provinz: das Aktive Museum Südwestfalen, iIn: Erinnerungsarbeit / Bernhard Nolz … (Hrsg.) – Münster [u.a.], 2000. – (Friedenskultur in Europa ; 4). – S. 217-223
„Mehr Raum zum Erinnern “, in: Siegener Beiträge 6 (2001), S. 191–196. [Aktives Museum Südwestfalen]
„Das Aktive Museum Südwestfalen : ein Dokumentations- und Lernort für regionale Zeitgeschichte am Platz der Synagoge Siegen“ in: Schalom : Zeitschrift des Jüdischen Museums Westfalen. Bd. 45.2002, S. 7
„Holocaust – ein Thema für die Grundschule?“, in: Gedenkstätten-Rundbrief, 2002, 105, S. 21-22
„Gedenken einüben“, in: Forschen – lernen – gedenken / [Hrsg.: Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NW e. V. Red. und Bearb.: Barbara Materne]. – 2. überarb. und erw. Aufl. – Düsseldorf, 2002. – S. 143-149
„Erinnern – Gedenken – Lernen : Annäherung an ein schwieriges Thema der Jahrgangsstufen 4 – 6“. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 13, Siegen 2003
„Schilde, Kurt/Brügelmann, Hans: : „Da muss der Jude den Schaden bezahlen“ : der 9. November als Versicherungsfall ; eine Leseaufführung“, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 13, Siegen 2003
„Arbeit mit Kindern an Geschichtsorten“, in: Pädagogik in Gedenkstätten 2005, S. 8 – 11
„Besucher aus aller Welt“, in: 10 [zehn] Jahre Lern- und Gedenkort : Aktives Museum Südwestfalen Siegen: Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland, Siegen 2006, S. 11-18
„Die Bedeutung des Museums für die pädagogische Arbeit in den Schulen und die Lehrerfortbildung“, in: 10 [zehn] Jahre Lern- und Gedenkort : Aktives Museum Südwestfalen Siegen: Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland, Siegen 2006, S.
Schilde, Kurt/Schnell, Ralf: „Da muss der Jude den Schaden bezahlen“ : der 9. November als Versicherungsfall ; eine Leseaufführung“, Siegen 2008 [2. durchgeseh. u. erweiterte Auflage]
„Ein Thema für die Grundschule? Ein Beispiels aus der praktischen Arbeit“, in: Gomoluch, Anna [Mitarb.]: Verwischte Spuren : Erinnerung und Gedenken an nationalsozialistisches Unrecht in Westfalen ; eine biografische Suche ; [Begleitbuch zur gleichnamigen Wanderausstellung des LWL-Museumsamtes für Westfalen, Münster] Münster 2011, S. 70 – 81 [Grundschule Erndtebrück]
„Walter Krämer. Schlosser, Politiker, Arzt von Buchenwald“, Siegen 2015
„Jüdische Soldaten des Ersten Weltkriegs aus der Synagogengemeinde Siegen“, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland Dokumentation 18, Siegen 2016

Links:
1) Das Gemeinschaftsprojekt „Aktives Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus im Kreis Siegen-Wittgenstein“ des Aktiven Museums Südwestfalen, der Universität Siegen und des Kreises Siegen-Wittgenstein wäre ohne die Initiative, ohne das Engagement bei der Realisierung und ohne die redaktionelle Arbeit Klaus Dietermanns nicht denkbar.
2) Auf siwiarchiv sind zahlreiche Einträge über die Aktivitäten Klaus Dietermanns sowie Beiträge Klaus Dietermanns erschienen.

2 Gedanken zu „Klaus Dietermann [8. Juni 1949 – 14. August 2017], Gründer des Aktiven Museums, ist tot

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